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Ehre wem Ehre gebГјhrt
Morgan Rice


Der Weg des Stahls #1
Morgan Rice hat es wieder geschafft! Mit den neuen starken Charakteren hat die Autorin eine neue magische Welt geschaffen. EHRE WEM EHRE GEBÜHRT ist voll von Intrigen, Verrat, unerwarteten Freundschaften und all den anderen wichtigen Bestandteilen, die jede Seite zu einem Genuss machen. Vollgeladen mit Action werden Sie dieses Buch wie auf heißen Kohlen sitzend lesen. Book and Movie Reviews, Roberto Mattos Dies ist eine neue, von der Erstveröffentlichung erheblich abweichende Fassung von EHRE WEM EHRE GEBÜHRT, die im Dezember 2018 erstmals erschien. DER WEG DES STAHLS ist eine neue, faszinierende Fantasy Reihe der Bestsellerautorin Morgan Rice, die bereits 17 andere Fantasy Reihen – unter ihnen DER RING DER ZAUBEREI dessen erster mit über 1300 Reviews bedachter Band DIE QUESTE DER HELDEN als kostenloser Download verfügbar ist – verfasst hat. EHRE WEM EHRE GEBÜHRT (Der Weg des Stahls – Buch 1) erzählt die Heldengeschichte des 17-jährigen Royce, einem Bauernsohn, der spürt, dass er besonders ist und Kräfte besitzt, die jenseits seiner Vorstellungskraft liegen. Als die Liebe seines Lebens, die 17-jährige Genoveva, entführt wird, muss er einen Krieg gegen den Adel in Kauf nehmen, um seine Liebe zu retten. Aus seiner Heimat verbannt und auf die berühmt-berüchtigte Rote Insel verschleppt – ein Ort bekannt dafür, aus Jungen Krieger zu machen und mehr Tod als Leben zu bringen – muss Royce auf sein eigenes Überleben hoffen. Genoveva wartet unterdessen verzweifelt auf Royces Rückkehr und ist gezwungen, sich mit der grausamen und intriganten Welt der Aristokratie auseinanderzusetze, einer Welt aus Lüge und Hinterhalt. Doch als Royces Kräfte stärker werden und er von seiner geheimen Abstammung erfährt, muss er sich fragen: ist er der Auserwählte? EHRE WEM EHRE GEBÜHRT webt die epische Geschichte von Freundschaft und Liebsten, von Rittern und Ehre, von Verrat, Schicksal und Liebe. Als eine Geschichte von Tapferkeit zieht sie uns in eine Fantasy-Welt hinein, in die wir uns verlieben werden und die allen Generationen unabhängig welchen Geschlechts gefallen wird. Buch 2 und 3 der Reihe können bereits vorbestellt werden.





Morgan Rice

EHRE WEM EHRE GEBÜHRT (DER WEG DES STAHLS – BUCH 1)




Morgan Rice

Morgan Rice, Nummer 1 der USA Today Bestsellerautoren, schrieb die epische Fantasy-Reihe THE SORCERER’S RING, bestehend aus siebzehn Büchern; die Bestsellerserie THE VAMPIRE JOURNALS, bestehend aus zwölf Büchern; die Bestsellerserie THE SURVIVAL TRILOGY, ein post-apokalyptischer Thriller in drei Teilen; die epische Fantasy-Reihe KINGS AND SORCERERS, bestehend aus sechs Büchern; die epische Fantasy-Reihe OF CROWNS AND GLORY, bestehend aus acht Büchern; die epische Fantasy-Reihe A THRONE FOR SISTERS, bestehend aus acht Büchern (Fortsetzung folgt); die neue Science-Fiction Reihe THE INVASION CHRONICLES, bestehend aus vier Büchern; und die brandneue Fantasy-Reihe OLIVER BLUE UND DIE SCHULE FÜR SEHER, bestehend aus drei Büchern (Fortsetzung folgt). Morgans Bücher sind als Audio- und Printedition verfügbar und wurden in über 25 Sprachen übersetzt.

Morgan freut sich, von Ihnen zu hören. Gehen Sie zu www.morganricebooks.com und setzen Sie Ihren Namen auf die E- Mail Liste. Sie bekommen ein kostenloses Buch als Werbegeschenk und Sie können sich die kostenfreie App herunterladen, um immer die exklusivsten News zu erhalten. Folgen Sie uns auch bei Facebook und Twitter!



Ausgewählte Kritiken zu Morgan Rice

„Wenn Sie geglaubt haben nach dem Ende von DER RING DER ZAUBEREI nicht weiterleben zu können, dann haben Sie sich geirrt. Mit DER AUFSTAND DER DRACHEN hat Morgan Rice eine brillante neue Serie geschaffen, die uns in das Reich von Trollen und Drachen, von Ehre, Mut und Magie entführen wird. Morgan ist es gelungen eine neue Generation von Charakteren zu schaffen, die uns auf jeder Seite in Atem halten wird… Eine Empfehlung für alle Leser, die gut geschriebene Fantasy zu schätzen wissen.“

–-Books and Movie Reviews

Roberto Mattos



„Ein Action-geladenes Fantasy Abenteuer das nicht nur allen Morgan Rice Fans gefallen wird sondern auch Anhängern von Christopher Paolinis DAS VERMÄCHTNIS DER DRACHENREITER… Fans von Fiction für Jugendliche werden dieses Werk von Rice verschlingen und um eine Fortsetzung betteln.“

–-The Wanderer,A Literary Journal (bezugnehmend auf Der Aufstand der Drachen)



„Ein lebhaftes Fantasy-Abenteuer das auch durch seine mysteriösen Elemente und sein Intrigenspiel besticht. In QUESTE DER HELDEN geht es um Mut und darum einen Sinn im Leben zu finden. Die Helden und Heldinnen reifen, wachsen über sich hinaus und leisten dabei Außergewöhnliches… Alle die ein bissiges Fantasy-Abenteuer suchen, werden bei diesen Protagonisten und dieser Action fündig werden. Vor einer lebhaften Kulisse wächst das verträumte Kind Thor zu einem jungen Erwachsenen heran, das es mit lebensbedrohlichen Herausforderungen aufnehmen muss… Dieser Band verspricht der Anfang einer epischen Serie für Jugendliche zu werden.“

--Midwest Book Review (D. Donovan, eBook Reviewer)



„DER RING DER ZAUBEREI hat alle Zutaten für einen Bestseller: die Handlung, die Gegenhandlung, viel Geheimnisvolles, wackere Ritter und sich entfaltende Beziehungen voll von Herzschmerz, Betrug und Täuschung. Es wird Ihnen sicherlich keine Minute langweilig sein. Für jedes Alter geeignet, darf es in keiner Fantasy-Buchsammlung fehlen.”

–-Books and Movie Reviews, Roberto Mattos



„In diesem Action-geladenen ersten Buch der epischen Fantasy-Reihe Der Ring der Zauberei – die momentan 14 Bände umfasst – stellt Rice ihren Lesern den 14-jährigen Thorgin „Thor“ McLeod vor, dessen Traum es ist in die silberne Legion – der Eliteritter-Einheit des Königs – aufgenommen zu werden… Rices Schreibstil ist solide und ihre Handlung faszinierend.“

--Publishers Weekly



BГјcher von Morgan Rice




OLIVER BLUE UND DIE SCHULE FГњR SEHER


DIE ZAUBERFABRIK (Buch #1)


DIE KUGEL VON KANDRA (Buch #2)


DIE OBSIDIANE (Buch #3)


DAS FEUERZEPTER (Buch #4)




DIE INVASION CHRONIKEN


ГњBERMITTLUNG (Buch #1)


ANKUNFT (Buch #2)


AUFSTIEG (Buch #3)


RГњCKKEHR (Buch #4)




DER WEG DES STAHLS


EHRE WEM EHRE GEBГњHRT (Buch 1)




EIN THRON FГњR SCHWESTERN


EIN THRON FГњR SCHWESTERN (Buch #1)


EIN GERICHT FГњR DIEBE (Buch #2)


EIN LIED FГњR WAISEN (Buch #3)


EIN KLAGELIED FГњR PRINZEN (Buch #4)


EIN JUWEL FГњR KГ–NIGE (Buch #5)


EIN KUSS FГњR KГ–NIGINNEN (Buch #6)


EINE KRONE FГњR MГ–DERINNEN (Buch# 7)


EIN HГ„NDEDRUCK FГњR THRONERBINNEN (Buch #8)




FГњR RUHM UND KRONE


SLAVIN, KRIEGERIN, KГ–NIGIN (Buch 1)


SCHURKIN, GEFANGENE, PRINZESSIN (Buch 2)


RITTER, THRONFOLGER, PRINZ (Buch 3)


REBELL, SCHACHFIGUR, KГ–NIG (Buch 4)


SOLDAT, BRUDER, ZAUBERER (Buch 5)


HELD, VERRГ„TER, TOCHTER (Buch 6)


HERRSCHER, RIVALE, VERBANNTE (Buch 7)


SIEGER, BESIEGTER, SOHN (Buch 8)




VON KГ–NIGEN UND ZAUBERERN


DER AUFSTAND DER DRACHEN (Buch 1)


DER AUFSTAND DER TAPFEREN (Buch 2)


DAS GEWICHT DER EHRE (Buch 3)


DIE SCHMIEDE DES MUTS (Buch 4)


EIN REICH DER SCHATTEN (Buch 5)


DIE NACHT DER VERWEGENEN (Buch 6)




DER RING DER ZAUBEREI


QUESTE DER HELDEN (Buch 1)


MARSCH DER KГ–NIGE (Buch 2)


FESTMAHL DER DRACHEN (Buch 3)


KAMPF DER EHRE (Buch 4)


SCHWUR DES RUHMS (Buch 5)


ANGRIFF DER TAPFERKEIT (Buch 6)


RITUS DER SCHWERTER (Buch 7)


GEWГ„HR DER WAFFEN (Buch 8)


HIMMEL DER ZAUBER (Buch 9)


MEER DER SCHILDE (Buch 10)


REGENTSCHAFT DES STAHLS (Buch 11)


LAND DES FEUERS (Buch 12)


DIE HERRSCHAFT DER KГ–NIGINNEN (Buch 13)


DER EID DER BRГњDER (Buch 14)


DER TRAUM DER STERBLICHEN (Buch 15)


DAS TOURNIER DER RITTER (Buch 16)


DAS GESCHENK DER SCHLACHT (Buch 17)




DIE TRILOGIE DES ГњBERLEBENS


ARENA EINS: DIE SKLAVENTREIBER (Buch 1)


ARENA ZWEI (Buch 2)


ARENA DREI (Buch 3)




GEFALLENE VAMPIRE


VOR DEM MORGENGRAUEN (Buch 1)




DER WEG DER VAMPIRE


GEWANDELT (Buch 1)


VERGГ–TTERT (Buch 2)


VERRATEN (Buch 3)


BESTIMMT (Buch 4)


BEGEHRT (Buch 5)


VERMГ„HLT (Buch 6)


GELOBT (Buch 7)


GEFUNDEN (Buch 8)


ERWECKT (Buch 9)


ERSEHNT (Buch 10)


BERUFEN (Buch 11)


BESESSEN (Buch 12)



Wusstet ihr, dass ich viele verschiedene Serien geschrieben habe? Wenn ihr sie noch nicht gelesen habt, klickt auf die folgenden Bilder und ladet euch euren Serienstarter herunter!






Kostenfreie BГјcher


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Copyright © 2016 durch Morgan Rice. Alle Rechte vorbehalten. Außer wie gemäß unter dem US Urheberrecht von 1976 ausdrücklich gestattet, darf kein Teil dieser Veröffentlichung auf irgendwelche Weise oder in irgendeiner Form sei es elektronisch oder mechanisch kopiert, reproduziert, verteilt oder angezeigt werden ohne die ausdrückliche Erlaubnis des Autoren eingeholt zu haben. Dieses Ebook ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt. Dieses Ebook darf kein zweites Mal verkauft oder an andere Personen weitergegeben werden. Wenn Sie dieses Buch an andere Personen weitergeben wollen, so erwerben Sie bitte für jeden Rezipienten ein zusätzliches Exemplar. Wenn Sie dieses Buch lesen ohne es käuflich erworben zu haben oder es nicht für Ihren alleinigen Gebrauch erworben wurde, so geben Sie es bitte zurück und erwerben Sie Ihr eigenes Exemplar. Vielen Dank, dass Sie die harte Arbeit des Autors respektieren. Es handelt sich um eine fiktive Handlung. Namen, Charaktere, Geschäftsangelegenheiten, Organisationen, Orte, Ereignisse und Zwischenfälle entspringen der Fantasie der Autorin oder werden fiktional benutzt. Ähnlichkeiten mit tatsächlichen Personen, ob tot oder lebendig, sind zufälliger Natur. Die Bildrechte des Bildbandes liegen bei  DM_Cherry und werden unter der Lizenz Shutterstock.com verwendet.




Und des HERRN Wort geschah zu mir:




Ich kannte dich, ehe denn ich dich im Mutterleibe bereitete, und sonderte dich aus, ehe denn du von der Mutter geboren wurdest, und stellte dich zum Propheten unter die Völker




Ich aber sprach: Ach HERR HERR, ich tauge nicht, zu predigen; denn ich bin zu jung




Der HERR sprach aber zu mir: Sage nicht: „Ich bin zu jung“; sondern du sollst gehen, wohin ich dich sende, und predigen, was ich dich heiße




Jeremias 1, 4-7




TEIL EINS





KAPITEL EINS


Schreie hatten Rea aus dem Schlaf gerissen, und nun saß sie aufrecht und schwitzend in ihrem ärmlichen Bett. Ihr Herz hämmerte in der Dunkelheit wie wild, und sie horchte angespannt in die Nacht hoffend, dass es nichts weiter sein würde als einer jener Alpträume, die sie seit einiger Zeit plagten. Sie umklammerte lauschend die Kante ihrer schäbigen Strohmatratze und betete, dass die Nacht schweigen würde.

Doch wieder durchschnitt ein Schrei die Stille der Nacht, und Rea zuckte zusammen.

Dann wieder.

In immer kürzeren Abständen kamen sie nun immer näher.

Vor Angst erstarrt, saß Rea da und hörte, wie sie sich näherten. Pferdegetrappel drang zunächst schwach durch den Regen an ihr Ohr. Dann der unverkennbare Klang von Schwertern, die aus ihren Hüllen gezogen wurden. Doch keines dieser Geräusche konnte die Schreie übertönen.

Dann kam ein neues Geräusch hinzu, eines das, wenn es überhaupt möglich war, noch grausamer war als die vorherigen: das Prasseln von Flammen. Reas Herz zog sich zusammen als sie erkannte, dass ihr Dorf in Brand gesetzt worden war. Das konnte nur eines bedeuten: der Adel war hier.

Rea sprang aus dem Bett und stieß sich das Knie am Kaminbock – ihrem einzigen Besitz in dem einfachen Häuschen mit nur einem Raum. Sie rannte aus dem Haus und gelangte an die Straße, die der warme Frühlingsregen in eine Schlammlandschaft verwandelt hatte. Der Regen drang durch ihre Kleidung, doch das kümmerte sie nicht. Sie blinzelte in die Dunkelheit noch ganz von ihrem Alptraum benommen. Um sie herum öffneten sich die Fensterläden und Türen, und andere Dorfbewohner traten misstrauisch aus ihren Häuschen. Dort standen sie nun und starrten auf die einzige schmale Straße, die sich durch das Dorf schlängelte. Auch Rea stand dort, starrte und machte langsam einen Schimmer in der Ferne aus. Ihr Herz krampfte sich zusammen. Eine größer werdende Flamme.

Versteckt hinter den verworrenen Labyrinthen des großen Platzes in diesem Teil des Dorfes zu leben, war in Zeiten wie diesen ein Segen: hier würde sie sicher sein. Niemand fand jemals den Weg hierher in den ärmsten Teil der Stadt, zu den notdürftig zusammengenagelten Häuschen, in denen die Bediensteten hausten und in die Straßen, deren Gestank Abschreckung genug war. Es hatte sich schon immer wie ein Ghetto angefühlt, aus dem Rea nicht entkommen konnte.

Doch als sie sah, wie die Flammen immer tiefer in die Nacht drangen, war Rea zum ersten Mal erleichtert, hier in dieser versteckten Ecke zu leben. Den Adligen wГјrde es niemals einfallen, sich durch die labyrinthartigen StraГџen und Gassen auf den Weg zu ihnen hinab zu machen. Hier gab es auГџerdem nichts zu holen.

Rea wusste, dass dies der Grund dafür war, weshalb ihre mittellosen Nachbarn so unaufgeregt vor ihren Häuschen standen und einfach nur glotzten. Es war auch der Grund, weshalb niemand bei den Dorfbewohnern des zentralen Platzes um Hilfe bat. Diese bemittelten Dorfbewohner blickten schon ihr gesamtes Leben auf sie hinab. Sie schuldeten ihnen nichts. Zumindest waren die Armen hier in Sicherheit und es würde ihnen nicht im Traum einfallen, denjenigen zu Hilfe zu eilen, die sie mit Füßen getreten hatten.

Rea stierte in die Nacht. Sie kam nicht umhin, sich über die näherkommenden Flammen und die sich ausbreitende Helligkeit zu wundern. Das Licht breitete sich aus und kroch langsam auf sie zu. Sie blinzelte und fragte sich, ob ihre Augen sie betrogen. Das ergab alles keinen Sinn: die Plünderer kamen anscheinend auf sie zu.

Die Schreie wurden lauter, da war sie sich sicher, und sie wich Гјberrascht zurГјck, als sich vor ihr aus den windigen StraГџen in etwa dreiГџig Metern Entfernung ein Flammenmeer ergoss. Sie stand wie angewurzelt da. Sie waren auf dem Weg hierher. Aber warum nur?

Sie hatte diesen Gedanken kaum fassen können, da galoppierte schon ein Kriegspferd mitsamt seinem finster dreinblickenden Reiter in schwarzer Rüstung auf den Platz. Sein Visier war heruntergeklappt, und der Helm umschloss seinen Kopf vollständig. Er reckte eine Helmbarte in die Höhe und sah aus wie ein Todesengel.

Kaum war er auf dem Platz angelangt, schon ließ er seine Helmbarte auf einen etwas stämmigen alten Mann, der versucht hatte zu fliehen, niedergehen. Der Mann hatte nicht einmal Zeit zu schreien, da hatte die Helmbarte ihm bereits das Haupt abgetrennt.

Der Regen war stärker geworden, und Blitze zuckten durch den Himmel und Donner grollte als ein dutzend Ritter auf den Platz stürmten. Einer von ihnen trug eine Fahne. Sie erstrahlte im Lichte der Fackeln, und dennoch konnte Rea ihre Insignien nicht erkennen.

Chaos brach aus. Die Dorfbewohner gerieten in Panik und rannten schreiend davon, einige rannten instinktiv zurück in ihre Häuschen, andere flohen durch eine der vielen Hintergassen. Doch auch diese kamen nicht weit, denn brennende Speere bohrten sich in ihre Rücken. Der Tod, dachte sie, würde heute Nacht keinen verschonen.

Rea versuchte nicht zu fliehen. Sie trat Schritt um Schritt ruhig zurück bis sie wieder im Inneren ihrer Hütte stand. Sie zog ihr Schwert hervor, ein Langschwert, das sie vor vielen Jahren bekommen hatte und das ein Meisterstück der Handwerkskunst war. Sein Klang, den es machte, als sie es aus seiner Hülle zog, beschleunigte ihren Herzschlag. Es war ein Meisterstück und sie hatte kein Recht es zu besitzen, denn es hatte ihrem Vater gehört. Sie wusste nicht einmal, wie es eigentlich in seinen Besitz gekommen war.

Rea lief langsam doch resolut auf die Mitte des zentralen Platzes zu. Sie war die einzige der Dorfbewohner, die genug Mut hatte, sich gegen die Angreifer zur Wehr zu setzen. Sie, eine zierliche Siebzehnjährige, hatte allein die Courage sich dem Grauen zu widersetzen. Sie wusste nicht, woher dieser Mut kam. Sie wollte fortlaufen, doch etwas tief in ihr hielt sie zurück. Etwas in ihr hatte sie stets dazu angehalten, sich ihren Ängsten zu stellen. Es lag nicht daran, dass sie keine Angst empfand, das tat sie. Es lag daran, dass ein anderer Teil von ihr, auch unter den schlimmsten Umständen, sie dazu zwang, zu funktionieren. Sie herausforderte stärker als die Angst zu sein.

Rea stand da, ihre Hände zitterten, und sie mahnte sich selbst, sich zu konzentrieren. Und als sich das erste Pferd näherte, hob sie ihr Schwert, brachte sich in Pose, ging in die Knie und hieb dem Pferd die Beine ab.

Es tat ihr in der Seele weh, dieses wunderschöne Tier zu verstümmeln; schließlich hatte sie sich Zeit ihres Lebens um Pferde gekümmert. Doch der Mann hatte seinen Speer erhoben und sie hatte gewusst, dass es um ihr nacktes Überleben ging.

Das Pferd stieß einen entsetzlichen Schrei aus und sie wusste, dass sie es den Rest des Tages nicht würde vergessen können. Es fiel zu Boden, schlitterte mit dem Gesicht auf dem Boden entlang und warf seinen Reiter ab. Die anderen Pferde zertrampelten es stolpernd bis nur noch ein Häufchen von ihm über war.

Kyle wirbelte in einer Wolke aus Staub und Chaos herum. Er blickte sie an und war bereit zu sterben.

Ein einzelner Ritter in weißer Rüstung auf einem weißen Pferd, das sich somit von den anderen unterschied, kam plötzlich auf sie zugeritten. Sie hob ihr Schwert, um sich erneut zur Wehr zu setzen, doch der Ritter war zu schnell. Er bewegte sich so schnell wie der Blitz. Sie hatte kaum ihr Schwert gehoben, da schwang er schon seine Helmbarte und erwischte ihre Klinge mit einer Halbkreisbewegung, die sie entwaffnete. Ihre Waffe flog in einem Halbbogen durch die Luft und landete am anderen Ende des Platzes. Ein Gefühl der Hilflosigkeit strömte durch ihren Arm als sie sich der wertvollen Waffe beraubt sah. Das Schwert hätte genauso gut in einer Millionen Meilen Entfernung liegen können.

Dort stand Rea nun, verblüfft und wehrlos, doch vor allem verwirrt. Der Schlag des Ritters hatte sie nicht töten wollen. Warum?

Noch bevor sie ihren Gedanken zu Ende führen konnte, hatte sich der Reiter noch im Ritt zu ihr hinabgebeugt und nach ihr gegriffen; sie fühlte den metallenen Gantelet, der sich in ihre Brust bohrte, als er mit beiden Händen nach ihrem Hemd griff, sie in einer einzigen Bewegung zu sich auf das Pferd zog und sie vor sich platzierte. Sie schrie überrascht auf und landete unsanft auf dem sich bewegenden Pferd. Er hielt sie eisern vor sich und seine metallenen Arme schlangen sich fest um sie. So eingezwängt, hatte sie kaum Zeit, über irgendetwas nachzudenken, geschweige denn überhaupt Luft zu holen. Rea wand sich, rutschte von einer Seite auf die andere, doch es hatte keinen Zweck. Er war zu stark.

„Hör auf , dich zu wehren“, befahl er ihr. „Ich versuche, dein Leben zu retten.“

Zwar war Rea von der Wahrheit seiner Worte nicht überzeugt, und doch hörte sie auf, sich zu wehren. Er ritt weiter durch das Dorf und bahnte sich seinen Weg durch die Schreckensszenerie der Straßen. Dabei entfernte er sich auch immer weiter von ihrem Zuhause. Ein anderer Ritter näherte sich ihnen mit erhobenem Schwert.

„Sie gehört mir“, zischte ihr Peiniger, und der andere Ritter senkte sein Schwert.

„Ich gehöre dir nicht“, sagte Rea und spürte, wie sich Panik in ihr breit zu machen begann. „Ich gehöre niemandem.“

„Diese Bauern-Huren sind ganz schön kratzbürstig, oder?“ lachte der andere Ritter.

Reas Entführer erwiderte nichts. Sie ritten aus dem Dorf hinaus und gelangten schließlich in die umliegende Natur. Plötzlich war es ganz still. Sie entfernten sich immer weiter von dem Chaos, von den Plünderungen, dem Geschrei, und Rea kam nicht umhin, sich für die Erleichterung, die sie verspürte wieder in sicherer Umgebung zu sein, schuldig zu fühlen. Sie spürte, dass sie ohne weiteres mit ihren Leuten dort hätte sterben können. Doch unter dem immer enger werdenden Griff musste sie auch erkennen, dass sie ein vielleicht noch viel grausameres Schicksal erwartete.

„Bitte“, mühte sie sich zu sagen.

Doch er drückte sie nur noch enger an sich und galoppierte noch schneller durch die endlosen Wiesen, die Hügel auf und ab bis sie an einen Ort vollkommener Stille gelangten. Es war so still und friedlich hier, dass es beinahe unheimlich war, so als wäre die Welt ein friedfertiger Ort.

Endlich hielt er unter einem alten Baum auf einer Anhöhe hoch über der Landschaft an. Es war ein Baum, den sie sofort wiedererkannte, denn sie hatte viele Male zuvor unter ihm gesessen.

In einer schnellen Bewegung sprang er ab ohne jedoch in seiner Umklammerung auch nur einen Deut nachzugeben. Sie landeten strauchelnd und stolpernd auf dem feuchten Gras, und Rea verschlug das Gewicht seines eng an sie gedrückten Körpers den Atem. Sie bemerkte, dass er ohne weiteres auch auf ihr hätte landen und sie dabei hätte ernsthaft verletzen können, doch hatte er dies nicht getan. Eigentlich hatte er ihren Fall sogar abgefangen.

„Wer bist du?“ fragte Rea. „Was willst du von mir?“

„Das würdest du nicht verstehen“, sagt der Ritter und setzte sich auf. Ein weißes Visier versperrte Rea den Blick auf sein Gesicht. Nur die mächtigen beinahe violett glänzenden Augen blitzten durch die Sehschlitze des Helmes hindurch. An seinem Pferd erblickte sie erneut das Banner, dessen Insignien sie dieses Mal genauer betrachtete: zwei Schlangen, die sich um einen Mond schlangen, ein von einem goldenen Kreis umschlossener Dolch ragte zwischen ihnen empor.

Er griff nach ihr, und Rea begann, mit den Armen zu rudern und gegen seine Rüstung zu schlagen. Doch es half nichts. Ihre zarten Hände trafen auf hartes Metall. Sie hätte genauso gut, auf einen Felsbrocken einhämmern können.

„Ich habe nicht vor, dir wehzutun“, sagte der Ritter. „Ich werde nichts tun, was du nicht auch willst.“

Rea wusste, was er damit meinte und war wie erstarrt. Sie war siebzehn. Sie hatte auf den perfekten Mann warten wollen. Sie wollte nicht, dass es so geschah. Sie hatte es sich ganz anders vorgestellt. Oder etwa nicht? In diesem Moment fiel ihr der Traum wieder ein, der sie aufgeweckt hatte und den sie seit vielen Monden geträumt hatte. Sie kannte diese Szene. Diesen Baum, das Gras, diese Anhöhe. Diesen Sturm. Diesen Mann.

Sie hatte er vorhergesehen, und sie erkannte, dass er es war, auf den sie gewartet hatte.

„Auch ich habe von dir geträumt“, sagte er. „Ich habe geträumt, dass du in Gefahr schwebtest, und ich habe von dem geträumt, was aus diesem Ort und zwischen uns hervorgehen wird. Wenn du im Dorf geblieben wärest, hätten sie dich in Stücke zerfetzt, egal wie mutig du gewesen wärest. Wir können hier jetzt etwas Neues schaffen, wenn du es denn auch willst.“

Rea erinnerte sich an die Träume, in denen sie diesem Mann begegnet war, und daran, wie es für sie gewesen war. Die Vorstellung daran ließ sie ihre Hände nach ihm ausstrecken.

„Ja“, flüsterte sie über das Prasseln des Regens hinweg.

Seine Hände glitten unter ihr Kleid während er sie sanft auf den Boden unter den Baum drückte. Rea hatte noch nie bei einem Mann gelegen. Doch hatte sie die Tiere in ihrem Dorf gesehen. Das hier war ganz anders. Der Mann über ihr entledigte sich nur von den absolut notwendigen Teilen seiner Rüstung. Nicht einmal einen Blick auf sein Gesicht durfte sie werfen. Und doch war er zärtlich mit ihr, sodass sie sich im Augenblick des Höhepunkt fest an ihn drückte.

Schon war es vorbei, und Rea blieb auf dem Gras liegen, denn sie wusste nicht, was sie als nächstes tun sollte. Sie hörte das Klimpern des Metalls als der Ritter die abgestreiften Teile seiner Rüstung wieder anlegte. Er beugte sich zu ihr, streckte die Hand aus und drückte ihr etwas zwischen die Finger.

Sie blinzelte im Regen und sah verdutzt eine goldene Kette mit einem Anhänger in ihrer Hand: zwei Schlangen um einen Mond geschlungen mit einem Dolch zwischen ihnen.

„Ich bin keine Hure, die man bezahlen muss“, zischte sie.

„Nach seiner Geburt“, antwortete er, „gib ihm das von mir und schick ihn zu mir.“

Sie blickte ihn an.

„Und jetzt verschwindest du, oder?“ sagte sie. „Einfach so.“

„Hier wirst du in Sicherheit sein“, antwortete er, „wenn ich mich zu lange entferne, werden sie anfangen, nach mir zu suchen. Es ist besser, wenn ich jetzt gehe.“

„Besser für wen?“ erwiderte Rea. Sie schloss ihre Augen. Unter dem prasselnden Regen konnte sie hören, wie der Ritter sein Pferd bestieg. Wie durch einen Nebel nahm sie das Geräusch des davongaloppierenden Pferdes wahr.

Reas Augen wurden schwer. Sie war zu erschöpft, um sich zu rühren. Dort lag sie im Regen, ihr Herz gebrochen. Sie spürte, wie süßer Schlaf sie rief, und sie erlaubte ihm, sie zu rufen. Vielleicht würden die Alpträume nun endlich ein Ende haben.

Bevor sie ihre Augen schloss, starrte sie auf das Emblem der Halskette. Sie drückte es, spürte es in ihrer Hand, das dicke Gold, das so dick war, das es ihr gesamtes Dorf ein Leben lang hätte versorgen können.

Warum hatte er es ihr gegeben? Warum hatte er sie nicht getötet?

Er, hatte er gesagt. Nicht sie. Er wusste, dass sie schwanger wГјrde. Und er wusste, dass es ein Junge wГјrde.

Doch wie?

Plötzlich kurz bevor der Schlaf sie holte, leuchtete es vor ihr in aller Klarheit auf. Es war der letzte Teil ihres Traumes.

Ein Junge. Sie hatte einem Jungen das Leben geschenkt. Einem aus einer zornigen und gewaltsamen Nacht geborenen.

Ein Junge, bestimmt König zu sein.




KAPITEL ZWEI




Drei Monde später


Rea stand benommen und wie in ihrer eigenen Welt verloren alleine auf der Waldlichtung. Sie hörte weder das Bächlein unter ihren Füßen noch den Vogelgesang in den dichten Wäldern, die sie umgaben. Weder bemerkte sie das Sonnenlicht, das durch die Äste brach, noch das Rudel Rehe, das sie aus der Nähe beobachtete. Die gesamte Welt schien still zu stehen während sie auf das eine Ding, das sie in ihren zitternden Händen hielt, starrte: die Adern des Ukandablattes. Sie zog ihre Hand von dem breiten grünen Blatt zurück und musste mit Schrecken beobachten, wie sich die Farbe des Blattes langsam vom Grünen ins Weiße verfärbte.

Diese Veränderung zu sehen, war als würde jemand ihr ein Messer ins Herz rammen und es umdrehen.

Das Ukandablatt veränderte seine Farbe nur, wenn die Person, die es berührte, ein Kind erwartete.

Reas Welt schien aus den Fugen zu geraten. Sie schien jegliches Zeit- und Raumgefühl eingebüßt zu haben als sie dort stand und ihr das Blut in den Ohren rauschte, ihre Hände zitterten und sie an jene schicksalshafte Nacht drei Monde zuvor dachte, als ihr Dorf geplündert und zu viele Menschen ihr Leben gelassen hatten. Als er sie genommen hatte. Sie strich langsam mit der Hand über ihren Bauch, spürte die Wölbung und die Welle der Übelkeit, und endlich verstand sie, warum. Sie tastete nach der Goldkette, die sie versteckt um ihren Hals trug, tief weit unter ihren Kleidern, so dass die anderen sie nicht sehen konnten, und sie fragte sich zum tausendsten Mal, wer dieser Ritter gewesen war.

Sie hatte versucht, seine letzten Worte aus ihrem Gedächtnis zu verbannen, doch sie holten sie immer wieder ein.

Schick ihn zu mir.

Ein plötzliches Rascheln hinter ihr veranlasste Rea, sich erschrocken umzudrehen. Sie erblickte die Knopfaugen von Prudence, ihrer Nachbarin, die sie anstarrte. Ein vierzehn Jahre altes Mädchen, das ihre Familie bei dem Anschlag verloren hatte, eine Plaudertasche, die wie versessen darauf war, mit jedem zu tratschen, und so war Prudence die letzte, die von Reas Umständen erfahren sollte. Rea musste mit Schrecken beobachten, wie Prudences Augen von Reas Hand zu dem sich verändernden Blatt glitten und sich vor Überraschung weiteten.

Mit einem angewiderten Blick lies Prudence ihren Korb mit TГјchern fallen, drehte sich um und rannte davon. Rea wusste, dass ihre Flucht nur eines bedeuten konnte: sie wГјrde die Dorfbewohner in Kenntnis setzen.

Rea verließ aller Mut und sie spürte eine erste Welle der Angst. Die Dorfbewohner würden natürlich von ihr verlangen, das Baby zu töten. Sie wollten nichts, das sie an den Angriff der Adligen erinnern würde. Aber warum jagte ihr das solche Angst ein? Wollte sie dieses Kind wirklich behalten, das Nebenprodukt dieses Monsters?

Ihre Angst überraschte sie, und als sie über die Angst nachdachte, erkannte sie, dass es eine Angst war, die ihrem Baby Sicherheit geben sollte. Das überraschte sie. Ihr Verstand sagte, dass sie das Baby nicht haben sollte, denn es würde ihr Dorf in Gefahr bringen. Es würde die Adligen stärken, die das Dorf in Schutt und Asche gelegt hatten. Es wäre so einfach, das Baby zu verlieren; sie könnte einfach eine Yukabawurzel kauen und mit dem nächsten Bad, das sie nähme, wäre auch das Kind verloren.

Instinktiv jedoch fühlte sie das Kind in sich, und ihr Körper sprach eine andere Sprache als ihr Verstand: Sie wollte es behalten, um es zu beschützen. Es war immerhin ein Kind. Ein Kind, das man ihr in ihren Träumen verheißen hatte.

Rea, die ein Einzelkind gewesen war und ihre Eltern niemals kennengelernt hatte, hatte in dieser Welt, in der sie niemand liebte und sie niemanden liebte, sehr gelitten und so hatte sie sich stets nach jemandem gesehnt, der sie liebte und den sie lieben konnte. Sie war es leid, alleine zu sein, abgeriegelt in dem ärmsten Teil des Dorfes zu leben, von morgens bis abends zu schuften, nur um ohne jegliche Perspektive gerade das Nötigste zu haben. Ihr Stand würde es ihr verwehren, einen Mann finden, das wusste sie. Zumindest keinen Mann, den sie nicht verachtete. Sie würde wahrscheinlich niemals ein Kind haben.

Rea verspürte ein plötzliches Sehnen. Dieses Kind war ihre einzige Chance, erkannte sie. Und jetzt, da sie schwanger war, erkannte sie auch, wie sehr sie dieses Kind wollte. Sie wollte es mehr als alles andere.

Rea begab sich auf den Weg zurück ins Dorf, aufgewühlt von einem Überschwang unterschiedlichster Gefühle getrieben, war sie auf die Ablehnung, die sie erwartete, nicht vorbereitet. Die Dorfbevölkerung würde darauf bestehen, dass nichts von den Plünderern ihrer Stadt übrig bliebe, von den Männern, die ihnen alles genommen hatten. Sie würden nicht verstehen, dass dieser Mann anders gewesen war; dass er sie beschützt hatte. Rea konnte ihnen ihren Unmut nicht verübeln; es war eine übliche Taktik von Plünderern, Frauen zu schwängern, um die Dörfer des Königreiches zu dominieren und zu kontrollieren. Manches Mal hatten sie nach einem Kind schicken lassen. Ein solches Kind zu haben, befeuerte nur noch weiter die Gewaltspirale.

Dennoch konnte nichts von dem das ändern, was sie fühlte. Leben wuchs in ihr. Sie konnte es mit jedem Schritt, den sie tat, fühlen und mit jedem Schritt wuchs auch ihr Entschluss. Sie konnte es mit jedem Herzschlag hören, der in ihr schlug.

Rea überquerte das Zentrum der Dorfstraßen in Richtung ihres Ein-Raum-Häuschens. Ihre Welt war wie auf den Kopf gestellt und sie wusste nicht, was sie denken sollte. Schwanger. Sie wusste nicht, was es hieß, schwanger zu sein. Sie wusste nicht, was es bedeutete, ein Kind zu gebären. Oder wie sie es aufziehen sollte. Sie hatte gerade genug, um sich selbst zu versorgen. Wie würde sie es sich leisten können?

Doch sie spürte eine aufkeimende Kraft in sich. Sie pulsierte in ihren Adern, eine Kraft, deren sie sich in den letzten drei Monden nur unterschwellig bewusst gewesen war, die jedoch jetzt ganz klar zum Vorschein kam. Es war eine Kraft, die ihre eigene überstieg. Eine Kraft der Zukunft, der Hoffnung. Eine Chance. Es war eine Kraft des Lebens, das sie niemals würde führen können.

Es war eine Kraft, die ihr mehr abverlangte als sie eigentlich war.

Als Rea langsam die Straße hinablief, nahm sie ihre Umgebung und die Blicke der sie beobachtenden Dorfbewohner nur verschwommen wahr. Sie drehte sich um und sah zu beiden Seiten der Straße die neugierigen und missbilligenden Blicke alter und junger Frauen, alter Männer und Jungen, einsamer Überlebender und verstümmelter Männer, die die Narben dieser Nacht trugen. Ihnen allen stand das Leiden ins Gesicht geschrieben. Sie alle starrten sie an, ihren Bauch, als wäre es ihre Schuld.

Sie sah Frauen ihres Alters, unter ihnen verstörte Gesichter, die sie ohne Mitgefühl anstarrten. Viele von ihnen, das wusste Rea, waren auch geschwängert worden und hatten bereits die Wurzel zu sich genommen. Sie konnte den Kummer in ihren Augen sehen und sie spürte, dass sie wollten, dass sie eine von ihnen würde. Rea hatte das Gefühl, dass sich immer mehr Menschen um sie drängten, und als sie aufblickte, erkannte sie überrascht, wie sich ihr eine Mauer aus Menschen in den Weg stellte. Das gesamte Dorf schien aus seinen Löchern gekrochen zu sein, Männer und Frauen, Alte und Junge. Sie sah ihre gequälten Gesichter, eine Qual, die sie geteilt hatte und sie hielt an und starrte zu ihnen zurück. Sie wusste, was sie wollten. Sie wollten ihren Jungen töten.

Sie fГјhlte, wie Trotz in ihr aufstieg und sie entschloss sich in diesem Moment, dass sie ihnen nicht nachgeben wГјrde.

„Rea“, vernahm sie eine raue Stimme.

Severn, ein Mann mittleren Alters stand in der Mitte und blickte finster zu ihr hinab. Er hatte dunkles Haar und einen Bart. Aus jener Nacht hatte er eine Narbe davongetragen, die quer über seine Wange lief. Seine Augen musterten sie von Kopf bis Fuß als wäre sie ein Stück Vieh, und ihr kam der Gedanke, dass er kaum besser war als die Adligen. Sie waren alle gleich: Alle glaubten sie, das Recht zu haben, ihren Körper zu besitzen.

„Du wirst die Wurzel einnehmen“, ordnete er dunkel an. „Du wirst die Wurzel nehmen und morgen wird das alles hinter dir liegen.“

Neben Severn trat eine Frau nach vorn. Luca. Sie war auch Opfer jener Nacht gewesen und hatte die Wurzel in der Woche zuvor zu sich genommen. Rea hatte ihr Stöhnen in der darauffolgenden Nacht gehört, ihr kummervolles Schluchzen um das verlorene Kind.

Luca zog einen Sack hervor, das gelbe Pulver im Innern wurde sichtbar und Rea trat einen Schritt zurГјck. Sie spГјrte die Augen des gesamten Dorfes auf sich und ihre Erwartungen, ihre Hand auszustrecken und es zu nehmen.

„Luca wird dich zum Fluss begleiten,“ fügte Severn hinzu. „Sie wird heute Nacht bei dir bleiben.“

Rea starrte sie mit kaltem Blick an und sie spГјrte eine fremde Energie in sich aufsteigen.

Sie sprach kein Wort.

Ihre Gesichter verhärteten sich.

„Fordere uns nicht heraus, Mädchen!“, sprach ein weiterer Mann, der nach vorne trat. Der Griff um seine Sichel wurde fester, so dass sich seine Knöchel weiß färbten. „Beschmutze nicht die Erinnerung an die Männer und Frauen, die wir in jener Nacht verloren haben, indem du zum Handlanger unserer Feinde wirst. Tu, was man von dir erwartet. Tu, was deinem Stand entspricht.“

Rea holte tief Luft und war überrascht, wie fest ihre eigene Stimme war als sie antwortete: „Das werde ich nicht.“

Ihre Stimme kam ihr fremd vor, tiefer und reifer als sie sie jemals gehört hatte. Es war, als wäre sie über Nacht zur Frau gereift.

Rea sah, wie Blut in die verärgerten Gesichter schoss, wie eine Sturmwolke an einem sonnigen Tag. Einer der Männer Namens Kavo, runzelte die Stirn und trat nach vorne, Autorität schwang in dieser Geste mit. Sie blickte an ihm hinab und sah die Peitsche in seiner Hand.

„Du kannst es dir einfach machen“, sagte er mit stählerner Stimme, „oder es dir schwer machen.“

Rea fühlte das Herz in ihrer Brust hämmern als sie ihn anstarrte. Sie blickte ihm direkt in die Augen. Sie erinnerte sich an das, was ihr Vater ihr einmal gesagt hatte, als sie noch ein kleines Mädchen gewesen war: Niemals klein beigeben. Niemandem. Steh für dich ein, auch wenn alle gegen dich sind. Vor allem, wenn alle gegen dich sind. Konzentriere dich auf das größte Großmaul. Greif zuerst an, auch wenn du damit dein Leben riskierst.

Rea zögerte keine Minute. Ohne nachzudenken griff sie nach einer Stange, die einer der Männer in den Händen hielt, preschte nach vorne und rammte sie Kavo in den Solarplexus.

Kavo keuchte und fiel auf die Knie. Rea wollte ihm keine weitere Chance geben, holte erneut aus und schlug ihm mit der Stange ins Gesicht. Seine Nase brach und er lies die Peitsche auf den Boden fallen. Er griff nach seiner Nase und stöhnte, während er sich im Schlamm wälzte.

Rea, die noch die Stange in der Hand hielt, blickte auf und sah in entsetzte Augen und schockierte Gesichter. Sie alle sahen etwas weniger sicher aus.

„Er ist mein Junge“, kreischte sie. „Ich behalte ihn. Sollte noch einmal jemand versuchen, mir etwas anzutun, dann wird es das nächste Mal nicht eine Stange, sondern ein Schwert sein, das in eurem Bauch steckt.“

Mit diesen Worten verfestigte sich ihr Griff um die Stange. Sie drehte sich um und lief langsam davon. Sie bahnte sich ihren Weg durch die Menge. Sie wusste, dass nicht einer von ihnen ihr folgen wГјrde. Zumindest vorerst.

Sie lief davon, mit zittrigen Händen, pochendem Herzen und in dem Wissen, dass es sechs lange Monde brauchen würde, bis ihr Baby das Licht der Welt erblickte.

Sie wusste, dass, wenn sie sie das nächste Mal aufsuchten, sie kommen würden, um sie zu töten.




KAPITEL DREI




Sechs Monde später


Rea lag neben ihrer kleinen prasselnden Feuerstelle auf einem mit Fellen bedeckten Lager. Sie war ganz und gar allein, und sie stöhnte und schrie vor Schmerzen, denn die Geburtswehen hatten eingesetzt. Draußen blies der Winterwind und ein unerbittlicher Sturm schlug die Fensterläden gegen die Wände ihrer Hütte, Schneewehen brachen immer wieder hinein. Der wütende Sturm entsprach ihrer eigenen Stimmung.

Reas Gesicht glänzte vom Schweiß, während sie neben dem kleinen Feuer saß. Trotz der sich auftürmenden Flammen und des tretenden und sich windenden Drängens des Kindes in ihrem Leib wurde ihr nicht warm. Sie war nass und fror, sie zitterte am ganzen Körper und sie war sich sicher, dass sie in dieser Nacht sterben würde. Eine neue Wehe fuhr durch ihren Körper und der Schmerz war so groß, dass sie sich wünschte der Ritter hätte sie in jener Nacht einfach getötet; das wäre der größere Gnadenakt gewesen. Diese sie dahinraffende Folter, diese Nacht voller Qualen war tausendfach schlimmer als alles andere, was man ihr jemals hätte antun können.

Über ihre Schreie und die Windböen erscholl plötzlich ein anderer Laut – vielleicht das einzige Geräusch, dass ihr jetzt noch einen Schauer über den Rücken schicken konnte.

Es war das Geräusch des Mobs. Ein verärgerter Pulk Dorfbewohner, der kamen, um ihr Kind zu töten, da war sie sich sicher.

Rea nahm all ihre Kraft zusammen, Kraft von der sie nicht einmal wusste, dass sie sie noch besaß, und setzte sich zitternd auf. Keuchend und schreiend landete sie auf wackligen Knien. Sie griff nach dem hölzernen Griff in der Wand und kam mit letzter Kraft und einem Schrei zum stehen.

Sie wusste nicht, ob die Schmerzen im liegen oder stehen größer waren. Aber sie hatte keine Zeit darüber nachzusinnen. Der Mob wurde lauter, kam näher und sie wusste, dass er bald hier sein würde. Sie musste dieses Kind in Sicherheit bringen, was auch immer es kostete. Es war merkwürdig, doch erschien ihr das Leben des Ungeborenen wichtiger als das eigene.

Rea gelang es, zur TГјr zu stolpern, sie lehnte sich gegen sie und stГјtzte sich dabei am TГјrknopf ab. Dort stand sie, atmete mehrere Sekunden schwer ein und aus, verschnaufte und sammelte Kraft. SchlieГџlich drehte sie den TГјrknopf herum. Sie griff nach einer Heugabel, die an der Wand lehnte, stГјtzte sich auf sie und Г¶ffnete die TГјr.

Rea schlug ein plötzliches Schneegestöber entgegen, das so kalt war, dass ihr der Atem stockte. Der Wind trug die lauter werdenden Schreie zu ihr hinüber, und ihr sank der Mut, als sie in der Ferne die Fackeln erblickte, die sich ihren Weg wie in Aufruhr geratene Leuchtkäfer zu ihr bahnten. Sie blickte in den Himmel und erhaschte einen Blick auf den riesigen Blutmond zwischen den Wolken, der den Himmel erfüllte. Sie hielt den Atem an. Das war nicht möglich. Sie hatte noch nie einen roten Mond gesehen und erst recht nicht während eines Sturms. Sie spürte einen scharfen Tritt in ihrem Bauch und plötzlich wurde ihr klar, dass dieser Mond zweifelsohne ein Zeichen war. Es war ein Zeichen für die Geburt ihres Kindes.

Wer ist er, fragte sie sich.

Rea umfasste ihren Bauch mit beiden Händen und spürte das Drängen und Winden einer anderen Person in ihr. Sie konnte seine Macht spüren, seinen Willen ans Licht zu brechen, als wäre er selbst gewillt, diesen Mob zu bekämpfen.

Dann kamen sie. Die entzündeten Fackeln erleuchteten die Nacht als der Mob aus den Gassen brach und sich vor ihr aufbaute. Wenn sie ihr altes Selbst gewesen wäre, stark und unnachgiebig, dann hätte sie ihnen die Stirn geboten. Doch sie konnte kaum laufen – kaum stehen – und sie konnte ihnen so nicht gegenübertreten. Nicht so kurz vor der Geburt.

Auch wenn Rea eine tiefe Wut verspürte, war da auch eine tiefe Stärke, eine Stärke, die von ihrem Baby kam, das wusste sie. Adrenalin schoss durch ihren Körper und die Wehen ließen augenblicklich nach. Für einen kurzen Moment war sie wieder sie selbst.

Der erste der Dorfbewohner, ein kleiner dicker Mann, kam mit einer Sichel in der Hand auf sie zu gerannt. Als er sich näherte, griff Rea nach hinten und umfasste die Heugabel mit beiden Händen. Sie trat einen Schritt zur Seite und stieß einen Urschrei aus, als sie sie ihm in den Magen stieß.

Der Mann erstarrte und sank in sich zusammen. Auch der Mob hielt inne und blickte sie erschrocken und verwundert an.

Rea vergeudete keine Sekunde. Mit einer schnellen Bewegung zog sie die Heugabel aus dem leblosen Körper, schwang sie über ihren Kopf und rammte sie dem nächsten Dorfbewohner ins Gesicht, als dieser versuchte, mit einem Stock auf sie loszugehen. Auch er taumelte und landete vor ihren Füßen im Schnee. Rea durchzuckte ein furchtbarer Schmerz in ihrer Seite, als ein anderer Mann nach vorn stürmte, sich auf sie stürzte und sie im Schnee zu Fall brachte. Sie schlidderten einen Meter über den Boden. Rea keuchte vor Schmerzen als sie die Tritte des Kindes in sich spürte. Sie rang mit dem Mann im Schnee. Es ging um ihr Leben und als sich sein Griff für einen Moment lockerte, vergrub Rea verzweifelt ihre Zähne in seiner Wange. Er schrie, als sie ihre Zähne tiefer in ihn versenkte. Sie sog das Blut ein, sie schmeckte es, sie würde nicht von ihm ablassen, denn das Baby in ihr gab ihr Kraft.

Schließlich ließ er von ihr ab, griff sich an die Wange und Rea sah ihre Gelegenheit gekommen. Sie kam rutschend zum Stehen und war bereit davonzulaufen. Sie hatte es fast geschafft, als sie plötzlich jemand von hinten beim Schopfe griff. Derjenige riss ihr beinahe das Haar vom Kopf als er sie zurück auf den Boden zerrte und sie davon schliff. Sie blickte nach oben und sah Severn, der finster zu ihr herabblickte.

„Du hättest auf uns hören sollen, als du die Chance hattest“, zischte er. „Jetzt werden wir dich zusammen mit deinem Baby töten.“

Rea hörte bereits die jubelnde Menge und sie wusste, dass es vorbei war. Sie schloss ihre Augen und betete. Sie war nie eine religiöse Person gewesen, doch in diesem Moment fand sie Gott.

Ich bete mit jeder Faser meines Körpers, dass dieses Kind gerettet wird. Nimm mich. Nur rette dieses Kind!

Als würden ihre Gebete erhört, spürte sie plötzlich wie das Zerren an ihren Haaren nachließ und gleichzeitig ertönte ein dumpfer Schlag. Sie blickte erschrocken auf und fragte sich, was passiert war.

Sie erkannte überrascht, wer ihr zur Hilfe geeilt war. Es war ein Junge – Nick – einige Jahre jünger als sie. Der Sohn eines Bauers, so wie sie. Er war nie besonders klug gewesen und die Anderen hatten immer auf ihm herumgehackt, doch sie war immer freundlich zu ihm gewesen. Vielleicht erinnerte er sich daran.

Sie sah, wie Nick einen Stock hob, und Severn damit seitlich gegen den Kopf schlug. Der lieГџ von ihr ab.

Nick trat der Menge entgegen, den Stock in Bereitschaft stellte er sich schГјtzend vor sie.

„Geh schnell!“ rief er ihr zu. „Bevor sie dich umbringen!“

Rea blickte ihn voller Dankbarkeit und Schrecken an. Dieser Mob wГјrde ihm dafГјr jeden Knochen brechen.

Sie sprang auf ihre Füße und begann zu rennen. Sie rutschte aus, doch sie war entschlossen, so viel Abstand wie möglich zwischen sich und die Meute zu bringen. Sie floh in eine der Gassen, doch bevor sie darin verschwand, blickte sie sich noch einmal nach Nick um, der wie wild mit den Dorfbewohnern kämpfte und einige von ihnen bereits niedergeknüppelt hatte. Doch einige der Männer preschten nach vorne und rangen ihn zu Boden. Nachdem sie ihn aus dem Weg geräumt hatten, folgten sie ihr.

Rea rannte. Nach Atem ringend, wand sie sich durch die Gässchen auf der Suche nach einem Unterschlupf. Von schrecklichem Schmerz heimgesucht, wusste sie nicht, wie lange sie noch durchhalten würde.

Sie erreichte schließlich das eigentliche Dorf mit seinen eleganten Steinhäusern und sie blickte sich ängstlich um. Sie kamen näher und waren keine sechs Meter mehr von ihr entfernt. Sie keuchte, stolperte mehr als sie rannte. Sie wusste, dass sie bald an ihre Grenze kommen würde. Eine neue Wehe nahte.

Plötzlich vernahm sie ein scharfes Krächzen und Rea sah wie sich eine alte Eichentür vor ihr auftat. Sie erschrak als sie Fioth erblickte, den alten Apotheker, der mit weit aufgerissenen Augen aus seiner kleinen Steinfestung lugte und sie zu sich hineinwinkte. Fioth streckte seine Hand nach ihr aus und griff sie mit einem für sein Alter überraschend festen Griff und schon stolperte Rea über die Schwelle in das prächtige Innere seiner Bleibe.

Er schlug die TГјr zu und verriegelte sie hinter ihr.

Einen Moment später trommelten Hände und Sicheln dutzender wütender Dörfler gegen die Tür. Doch sie hielt zu Reas Erleichterung den Angriffen stand. Sie war fast einen halben Meter dick und hatte wohl einige Jahrhunderte mehr auf dem Buckel als Rea. Ihre schweren Eisenbolzen krümmten sich keinen Deut.

Rea atmete tief durch. Ihr Baby war in Sicherheit.

Fioth drehte sich zu ihr und sah sie eingehend an. In seinem Gesicht stand MitgefГјhl, und die Sanftheit seiner ZГјge beruhigten sie. Niemand in diesem Dorf hatte sie in den letzten Monaten so liebevoll angesehen.

Er nahm ihr die Felle ab als sie erneut eine Wehe überkam. Es war ruhig hier drinnen, denn das Schneegestöber, das über das Dach fegte, dämpfte allen von außen kommenden Lärm, und es war wohlig warm.

Fioth führte sie zur Feuerstelle und legte sie auf eine Ansammlung Pelze. Erst jetzt verstand sie, was passiert war: das Davonrennen, der Kampf, der Schmerz. Auch wenn eine Tausendschaft diese Tür niederreißen würde, sie wäre nicht mehr im Stande sich zu rühren.

Sie schrie als eine spitze Wehe sie zerriss.

„Ich kann nicht mehr rennen“, keuchte Rea und begann zu weinen. „Ich kann einfach nicht mehr.“

Er tupfte ihr mit einem kГјhl-feuchten Lappen Гјber die Stirn.

„Das wirst du auch nicht müssen“, sagte er mit beruhigender Stimme als wäre er Zeuge der Geschehnisse gewesen. „Ich bin jetzt hier.“

Sie schrie und stöhnte als ein neuer Schmerz sie durchfuhr. Es fühlte sich an, als würde sie entzweigerissen.

„Lehn dich zurück!“ ordnete er an.

Sie sagte wie ihr gesagt – und eine Sekunde später spürte sie den enormen Druck zwischen ihren Beinen.

Dann folgte ein Geräusch, das sie erschreckte.

Ein Wimmern.

Der Schrei eines Babys.

Ihr wurde vor Schmerz fast Schwarz vor Augen.

Sie beobachtete die geschulten Griffe des Apothekers während sie zwischen Wachsein und Bewusstseinsverlust pendelte. Er zog das Kind aus ihr und griff nach etwas Scharfem, um die Nabelschnur zu durchtrennen. Sie beobachtete wie er das Baby mit einem Tuch abrieb, Lunge, Nase und Hals öffnete.

Das Wimmern und Schreien wurde lauter.

Rea brach in Tränen aus. Dieses Schreien brachte ihr so viel Erleichterung, drang in ihr Herz und trug sogar über das Hämmern der Dorfbewohner hinweg. Ein Kind.

Ihr Kind.

Er war am Leben. Gegen alle Widrigkeiten hatte er das Licht der Welt erblickt.

Rea nahm kaum noch wahr, wie der Apotheker ihn in eine Decke wickelte. Doch dann spürte sie seine Wärme als er ihr ihn in den Arm legte. Sie spürte sein Gewicht auf ihrer Brust und sie drückte ihn an sich während er schrie und weinte. Sie hatte noch nie solche Freude gespürt, Tränen quollen ihr aus den Augen und rannen ihr das Gesicht hinab.

Plötzlich ein neues Geräusch: das Getrappel von Pferden. Das Klirren von Rüstungen. Dann Schreie. Der blutlechzende Mob verstummte – jetzt waren sie es, auf die man es abgesehen hatte.

Rea lauschte, verblГјfft versuchte sie zu verstehen. Dann spГјrte sie eine Welle der Erleichterung. NatГјrlich. Der Adlige war zurГјck, um sie zu retten. Um sein Kind zu retten.

„Gott sei dank“, sagte sie. „Die Ritter kommen zu meiner Rettung.“

Rea spürte Zuversicht in sich aufkeimen. Vielleicht würde er sie schützen können. Vielleicht würde sie ein neues Leben beginnen können. Ihr Junge würde in einem Schloss aufwachsen, ein ehrbarer Herr werden und vielleicht würde sie das auch. Ihr Kind würde ein gutes Leben haben. Sie würde ein gutes Leben haben.

Rea überkam eine Flut der Erleichterung und Tränen strömten ihr über die Wangen.

„Nein“, korrigierte sie der Apotheker mit schwerer Stimme. „Sie kommen nicht, um dein Kind zu retten.“

Sie blickte ihn verwirrt an. „Warum sonst würden sie kommen?“

Er blickte sie grimmig an.

„Um es zu töten.“

Sie starrte ihn angewidert an, ein kalter Schauer des Schreckens Гјberkam sie.

„Sie vertrauen nicht darauf, dass die Dorfbevölkerung imstande ist, es zu Ende zu bringen“, fügte er hinzu. „Sie wollten sicherstellen, dass es richtig getan wird und mit ihren eigenen Händen.“

Es war als wГјrde ihr Eis durch die Adern schieГџen.

„Aber…“ stammelte sie und versuchte zu verstehen, „… mein Kind gehört dem Ritter. Ihrem Befehlshaber. Warum? Warum würden sie es töten wollen?“

Fioth schГјttelte finster dreinschauend den Kopf.

„Diese Männer dort draußen gehören nicht zu ihm. Sie sind seine Rivalen. Sie wollen den Tod des Kindes. Sie wollen deinen Tod.“

Sie sah die Dringlichkeit in seinem Blick und erkannte mit Grauen, dass er die Wahrheit sprach.

„Ihr müsst beide von hier fliehen!“ drängte er. „Jetzt!“

Er hatte seine Worte kaum ausgesprochen, da erscholl das dumpfe Geräusch einer Eisenstange, die gegen die Tür gerammt wurde. Dieses Mal waren es nicht die harmlosen Sicheln der Bauern, sondern ein zu diesen Zwecken gebauter Rammbock der Ritter. Als er gegen die Tür donnerte, bebte sie.

Fioth drehte sich zu ihr mit vor Panik geweiteten Augen.

„GEH!“ rief er.

Rea blickte mit Panik im Blick zu ihm zurГјck und fragte sich, ob sie in ihrem Zustand Гјberhaupt stehen konnte.

Er griff jedoch nach ihr und stellte sie auf ihre FГјГџe. Sie schrie vor Schmerzen, jede Bewegung war die reinste Qual.

„Bitte!“ rief sie. „Es tut so weh! Lass mich sterben!“

„Sieh an, was in deinen Armen lieg!“ erwiderte er. „Willst du, dass er stirbt?“

Rea blickte zu dem weinenden Kind in ihren Armen und als ein neuer StoГџ die TГјr erschГјtterte, wusste sie, dass er Recht hatte. Sie konnte ihn hier nicht sterben lassen.

„Was ist mit Ihnen?“ stöhnte sie. „Sie werden Sie auch töten.“

Er nickte resigniert.

„Ich habe viele Sonnenzyklen gelebt“, antwortete er. „Wenn ich so ein wenig Zeit für dich gewinnen kann, sodass du einen sicheren Ort finden kannst, werde ich gerne das geben, was mir von meinem Leben noch bleibt. Geh jetzt! Lauf in Richtung des Flusses. Nimm eines der Boote und flieh von hier! Schnell!“

Er zerrte sie hinaus noch bevor sie die Chance hatte darüber nachzudenken. Er führte sie zu einem Seiteneingang seiner Festung und enthüllte eine hinter der Wandverkleidung verborgen liegende Tür, die in den Stein gehauen worden war. Er lehnte sich mit seinem ganzen Körpergewicht dagegen und sie öffnete sich mit einem Krächzen. Muffige und kalte Luft schlug ihnen entgegen.

Kaum hatte er sie geöffnet, da stieß er sie und das Baby auch schon hinaus.

Rea befand sich nun wieder mitten im Schneegestöber. Sie stolperte ihr Kind fest an sich gedrückt das steile, schneebedeckte Ufer entlang. Sie schlitterte und rutschte, glaubte die Welt würde jeden Augenblick unter ihr zusammenbrechen und war kaum im Stande, sich zu bewegen. Als sie so voranstolperte, schlug in einem nahegelegenen Baum der Blitz ein. Flammen loderten auf.

Rea fiel zu Boden, und als sie sich zusammenrollte, um so ihr Kind vor dem harten Aufprall schützen zu können, spürte sie, wie sich die Kette, die der Ritter ihr für das Kind gegeben hatte, von ihrem Hals löste und in die Flamen fiel. Rea griff nach einem Zweig, um sie aus den Flammen zu retten. Der Zweig fing Feuer und doch gelang es ihr, die Kette aus den Flammen zu ziehen. Einen Moment lang baumelte sie an dem Stöckchen in der Luft. Mit Grauen musste sie mitansehen, wie der Arm ihres Kindes sich nach der Kette ausstreckte.

Das Baby schrie auf, und Rea warf die Kette zur Seite ohne einen weiteren Gedanken daran zu verschwenden, wer sie ihr gegeben hatte. Ensetzt erblickte sie den makellosen Umriss des Anhängers auf dem Arm des Kindes. All das erschien ihr ein weiteres Vorzeichen zu sein.

Rea stolperte ein weiteres Mal und rutschte den Abhang hinab. Dieses Mal landete sie auf ihrem Hintern. Sie flog ein Stück und schrie als der Abhang sie geradewegs zum Ufer hinab beförderte.

Sie atmete erleichtert auf, denn sie erkannte, dass es ihr ohne die Rutschpartie wohl nicht gelungen wäre, den ganzen Weg hinabzulaufen. Sie blickte ehrfürchtig den Hang hinauf, erschrocken über den weiten Weg, den sie bereits zurückgelegt hatte und musste entsetzt feststellen, dass die Ritter Fioths Festung in Brand gesteckt hatten. Die Flammen schlugen trotz des Schnees bereits hoch und eine furchtbare Welle der Schuld überkam sie bei dem Gedanken, dass der alte Mann sein Leben für sie gelassen hatte.

Einen Moment später strömten Ritter durch die Hintertür und Pferde galoppierten um die Festung herum auf sie zu. Sie sah, dass sie entdeckt worden war und sie auf sie zustürmten ohne auch nur eine Sekunde Luft zu holen.

Rea drehte sich herum und versuchte davonzulaufen, doch es ging nicht weiter. Ihr Zustand machte das Davonrennen außerdem sowieso unmöglich. Das einzige was sie tun konnte, war es, am Ufer auf ihre Knie zu sinken. Sie wusste, dass sie hier sterben würde. Es gab keinen anderen Ausweg mehr.

Dennoch hegte sie noch Hoffnung für ihr Kind. Sie blickte sich um und sah einen Haufen kleiner Stöcke, vielleicht das Nest eines Bibers, der so gebaut worden war, dass er einem Körbchen ähnelte. Sie griff danach und legte flink ihr Kind hinein. Sie testete es und stellte erleichtert fest, dass es schwamm.

Rea holte aus und bereitete sich darauf vor, das Körbchen auf die sanften Wogen des Flusses zu setzen. Wenn der Strom es fing, würde er es von hier forttragen. Den Fluss hinab. Wie weit und wie lang er es tragen würde, das wusste sie nicht. Doch war eine kleine Chance das Leben ihres Babys zu retten besser als keine.

Rea weinte und beugte sich hinab, um die Stirn ihres Kindes zu küssen. Sie weinte bitterlich und drückte die kleinen Händchen ihres Sohnes.

„Ich liebe dich“, sagte sie schluchzend. „Vergiss mich nicht.“

Das Baby stieß einen Schrei aus, als würde es verstehen. Es war ein markerschütternder Schrei, der über das Grollen von Blitz und Donner erscholl und sogar das herannahende Pferdegetrappel übertönte.

Rea wusste, dass sie nicht länger warten durfte. Sie gab de Körbchen einen Schubs und kurz darauf trug der Strom es davon. Sie blickte ihm weinend nach während die Dunkelheit es langsam verschluckte.

Sie hatte es gerade aus den Augen verloren, da tauchten hinter ihr die Rüstungen auf – sie wandte sich um und erblickte mehrere Ritter, die nicht weit von ihr entfernt gerade von ihren Pferden stiegen.

„Wo ist das Kind?“ fragte einer. Sein Visier war nach unten geklappt und seine Stimme schnitt durch den Sturm. Sein Visier war nicht wie das jenes Mannes, der sie in jener Nacht genommen hatte. Der Mann trug eine rote Rüstung, die eine andere Form hatte und nichts liebliches Schwang in seiner Stimme mit.

„Ich…“ begann sie.

Dann spürte sie Wut in sich aufsteigen – die Wut einer Frau, die wusste, dass sie sterben würde. Die nichts zu verlieren hatte.

„Er ist weg“, spie sie ihn herausfordernd an. Sie grinste. „Und ihr werdet ihn niemals haben. Niemals.“

Der Mann grunzte verärgert, tat einen Schritt auf sie zu, zog sein Schwert und erstach sie.

Rea spГјrte den ungeheuerlichen Schmerz des Stahls in ihrer Brust und sie keuchte atemlos. Die Welt um sie wurde lichter und sie spГјrte wie sie Teil dieses Lichts wurde und sie wusste, dass es der Tod war.

Doch war da keine Angst. Vielmehr spГјrte sie Zufriedenheit. Ihr Kind war sicher.

Sie landete mit dem Gesicht im Fluss. Das Wasser färbte sich rot und sie wusste, dass es vorbei war. Ihr kurzes und schweres Leben war vorbei.

Doch ihr Junge wГјrde fГјr immer leben.


*

Die Bäuerin Mithka kniete am Ufer des Flusses neben ihrem Ehemann. Beide waren ganz in ihre Gebete versunken, denn diese erschienen ihnen die einzige Zuflucht in diesem unheimlichen Sturm. Es fühlte sich an, als sei das Ende der Welt gekommen. Der blutrote Mond allein war wie ein denkwürdiges Omen – doch in Verbindung mit solch einem Sturm war er mehr als nur unheimlich. So etwas hatte es zuvor noch nie gegeben. Etwas Bedeutsames war auf dem Weg, das wusste sie.

Sie knieten zusammen dort, Wind und Schnee schlug ihnen ins Gesicht und sie beteten, dass ihre Familie den Sturm sicher Гјberstehen wГјrde. Um Gnade. FГјr die Vergebung ihrer SГјnden.

Mithka war eine fromme Frau und hatte viele Sonnenzyklen erlebt, zahlreichen Kinder das Leben geschenkt und ein gutes Leben gehabt. Ein armes doch gutes Leben. Sie war eine anständige Frau. Sie hatte sich um ihr Geschäft gekümmert, hatte sich um Andere gesorgt und hatte niemandem etwas zu Leide getan. Sie rief Gott an, damit er ihre Kinder, ihren Haushalt und ihre bescheidenen Habseligkeiten beschützen würde. Sie beugte sich nach vorne, platzierte ihren Handinnenflächen im Schnee, schloss ihre Augen und neigte ihr Haupt, sodass ihre Stirn den Boden berührte. Sie bat Gott, ihr ein Zeichen zu schicken.

Langsam hob sie ihren Kopf. Währenddessen weiteten sich ihre Augen und ihr Herz begann beim Anblick dessen, was sie vor sich erblickte, schneller zu schlagen.

„Murka!“ zischte sie.

Ihr Mann drehte sich zu ihr und blickte auf. Kniend und durchfroren starrten sie voller Erstaunen auf das, was sie dort sahen.

Das konnte nicht möglich sein. Sie blinzelte mehrere Male, sie bildete es sich nicht ein. Vor ihnen schwebte ein von der Strömung herbeigespültes Körbchen auf dem Wasser.

Und in dem Körbchen lag ein Baby.

Ein Junge.

Seine Schreie durchdrangen die Nacht, erhoben sich sogar Гјber das Brausen des Sturms und das Krachen von Blitz und Donner und drangen ihr direkt ins Herz.

Sie sprang in den Fluss, watete durch das tiefe eisige Wasser, dessen messerartige Stiche ihr gleichgültig waren und angelte nach dem Körbchen. Sie blickte hinein und fand ein sorgfältig eingewickeltes Kind, das zu ihrer großen Überraschung völlig trocken war.

Sie untersuchte ihn eingehender und entdeckte das frische Brandmal auf seinem Arm – überrascht erkannte sie darin das Symbol zweier Schlangen, die einen Mond umkreisten. Ein Dolch rangte zwischen ihnen empor.

Sie hielt den Atem an; sie wusste sofort, was es zu bedeuten hatte. In alten Volksweisen und Legenden hatte sie von diesem Symbol gehört. Und sie fürchtete es.

Sie drehte sich zu ihrem Mann.

„Wer würde so etwas tun?“ fragte sie entsetzt als sie ihn fest an ihre Brust drückte.

Er konnte nur verwundert seinen Kopf schГјtteln.

„Wir müssen uns ihm annehmen“, entschied sie.

Ihr Mann legte seine Stirn in Falten und schГјttelte den Kopf.

„Wie sollen wir das anstellen?“ erwiderte er. „Wir können ihn nicht durchfüttern. Wir können uns selbst kaum ernähren. Wir haben schon drei Söhne – wozu brauchen wir noch einen vierten? Wir sind zu alt noch ein Kind aufzuziehen.“

Mithka dachte blitzschnell nach und zeigte ihm das Brandmal auf dem Arm des Kindes. Nach all den gemeinsamen Jahren wusste sie, wie sie ihren Mann Гјberzeugen konnte. Er sah Гјberzeugt aus.

„Da“, erwiderte sie. „Da hast du dein Zeichen. Ein Zeichen für uns“, sagte sie ernst. „Ich werde dieses Baby retten – ob es dir gefällt oder nicht. Ich werde ihn nicht dem Tod überlassen.“

Er sah immer noch skeptisch drein, wenn auch weniger entschlossen, als ein weiterer Blitz durch den Himmel zuckte und der Himmel ihn mit Furcht erfГјllte.

„Glaubst du, das alles ist reiner Zufall?“ fragte er. „Ein solches Kind, das in solch einer Nacht geboren wird? Hast du irgendeine Ahnung, wen du da in deinen Armen hältst?“

Er blickte Г¤ngstlich zu dem Kind. Dann stand er auf und trat einen Schritt zurГјck. SchlieГџlich drehte er sich um und trottete besorgt davon.

Mithka würde nicht nachgeben. Sie lächelte das Baby an und wiegte es an ihrer Brust, um sein kaltes Gesichtchen zu wärmen. Langsam beruhigte sich sein Weinen.

„Ein Kind so anders als wir alle“, antwortete sie, auch wenn niemand sie hörte und hielt ihn fest. „Ein Kind das die Welt verändern wird und das Royce heißen soll.“




TEIL ZWEI





KAPITEL VIER




17 Sonnenzyklen später


Royce stand auf einem Hügel unter dem weit und breit einzigen Eichenbaum in einer von Getreidefeldern beherrschten Landschaft. Ein alter Baum, dessen Geäst den Himmel zu erreichen schien. Er sah Genoveva von Liebe verzehrt tief in die Augen. Sie hielten sich bei den Händen, sie lächelte zurück, und als sie sich vorbeugten, um sich zu küssen, ward er von Ehrfurcht und Dankbarkeit erfüllt, dass sein Herz so voll sein konnte. Als die Morgendämmerung hereinbrach, wünschte sich Royce, dass er diesen Augenblick für immer festhalten könnte.

Royce richtete sich wieder auf und blickte sie an. Genoveva war bezaubernd. Sie war wie er siebzehn Jahre alt, groß, schlank und hatte fließendes blondes Haar und intelligente grüne Augen. Ein paar Sommersprossen zierten ihre anmutigen Züge. Sie hatte ein Lächeln, das ihm Lebenskraft schenkte und ein Lachen, dass ihm wohlig zumute wurde. Sie war mehr als nur das, sie hatte Liebreiz und einen Edelmut, der ihren Bauernstand weit übertraf.

Royce sah sein eigenes Bild in ihren Augen, und er staunte darüber, dass er aussah, als wären sie verwandt. Er war natürlich viel massiger als sie und für sein Alter ungewöhnlich groß, mit Schultern, die breiter waren als die seiner älteren Brüder, einem starken Kinn, einer reizenden Nase, einer hohen Stirn, einem Aufgebot an Muskeln, die sich auf seiner Tunika abzeichneten und regelmäßigen Zügen wie den ihren. Sein längliches blondes Haar fiel ihm fast in die Augen während seine haselnussgrünen Augen ihren glichen, auch wenn sie einen Ton dunkler waren. Er war mit Stärke gesegnet und mit einer Geschicklichkeit, das Schwert so wie seine Brüder zu führen, auch wenn er der jüngste unter ihnen war. Sein Vater hatte immer gescherzt, dass er vom Himmel gefallen sei, und Royce hatte es verstanden: seine Züge und sein Körperbau unterschieden sich von dem seiner Brüder. Er war wie ein Fremder in seiner eigenen Familie.

Sie umarmten sich, und es fГјhlte sich gut an, so fest von ihr umschlungen zu werden, jemanden zu haben, der ihn genauso liebte, wie er sie liebte. Beide waren sie seit Kindesbeinen unzertrennlich gewesen, waren zusammen aufgewachsen, hatten zusammen in diesen Felder gespielt und hatten sich schon damals geschworen, nach der Sonnenwende ihres siebzehnten Lebensjahres zu heiraten. Es war fГјr sie als Kinder eine toternste Angelegenheit gewesen.

Als sie älter wurden, hatten sie sich nicht wie andere Kinder voneinander entfremdet, sondern waren sich Jahr um Jahr näher gekommen. Gegen jede Erwartung war aus ihrem Kinderspiel so etwas Ernsthafteres, Feierliches, Unzerbrechliches geworden, das mit jedem Jahr stärker wurde. Ihre Leben schienen dazu bestimmt, nicht auseinanderzulaufen.

Jetzt stand der langersehnte Tag unglaublicher Weise vor der TГјr. Beide waren sie siebzehn, die Sommersonnenwende stand bevor, sie war erwachsen und konnten ihre eigenen Entscheidungen treffen. Als sie unter dem Baum standen und den Sonnenaufgang betrachteten, wussten sie beide, kribbelig aufgeregt, was das bedeuten sollte.

„Was denkt deine Mutter?“ fragte sie.

Royce grinste.

„Ich glaube, sie liebt dich mehr als ich es tue, falls das überhaupt möglich ist“, lachte er.

Genovevas Lachen drang bis in seine Seele.

„Und deine Eltern?“ fragte er.

Ihr Gesicht verfinsterte sich, wenn auch nur fГјr eine Sekunde, doch ihm schwand der Mut.

„Ist es meinetwegen?“ fragte er.

Sie schГјttelte den Kopf.

„Sie haben dich in ihr Herz geschlossen“, erwiderte sie. „Sie sind nur…“ seufzte sie. „Wir sind noch nicht verheiratet. Wenn es nach ihnen ginge, könnte es nicht schnell genug gehen. Sie haben Angst um mich.“

Royce verstand. Ihre Eltern fürchteten die Adligen. Unverheiratete Bauern, wie Royce und Genoveva es waren, hatten keinerlei Rechte; wenn die Adligen es wollten, so konnten sie jede Frau nehmen und sie für sich beanspruchen. Bis sie verheiratet sein würden. Dann wären sie sicher.

„Schon bald“, sagte Genoveva und ihr Lächeln leuchtete.

„Sind sie erleichtert, weil ich es bin oder weil du vor den Adligen in Sicherheit sein wirst, wenn wir erst einmal verheiratet sind?“

Sie lachte und schlug ihn neckend.

„Sie lieben dich wie den Sohn, den sie niemals hatten!“ sagte sie. „Und ich liebe dich auch. Hier, das ist für dich.“

Sie streckte ihm etwas entgegen, das an einem Faden hing. Es war kaum mehr als ein StГјck Draht. Doch es enthielt eine Locke von Genoveva. FГјr Royce jedoch war es das kostbarste, was er jemals gesehen hatte. Er nahm es an sich und steckte es in sein Hemd, ganz nah an seinem Herzen.

Er griff nach ihrem Arm und kГјsste sie.

„Royce!“ rief eine Stimme.

Royce drehte sich um und sah seine drei BrГјder in einer groГџen Gruppe mit Genovevas Schwestern und Cousinen den HГјgel hinaufkommen. Sie alle hielten Sicheln und Heugabeln in der Hand und waren bereit, den Arbeitstag anzugehen. Royce atmete tief durch, denn er wusste, dass die Zeit des Abschieds gekommen war. Sie waren immer noch Bauern, und sie konnten es sich nicht erlauben, sich einen ganzen Tag frei zu nehmen. Die Hochzeit musste bis zum Sonnenuntergang warten.

Royce machte es an diesem Tag nichts aus zu arbeiten, doch litt er mit Genoveva. Er wünschte, dass er ihr mehr zu bieten gehabt hätte.

„Ich wünschte, du könntest dir heute frei nehmen“, sagte Royce.

Sie lächelte erst, und dann lachte sie.

„Das Arbeiten macht mich glücklich. Es lenkt mich ab. Vor allem“, sagte sie und beugte sich vor um seine Nase zu küssen, „von dem Gedanken wie lange es dauert, bis ich dich heute wieder zu Gesicht bekomme.“

Sie kГјssten sich, und sie drehte sich mit einem Kichern um, hakte sich bei ihren Schwestern und Cousinen ein und war zusammen mit ihnen schon bald auf dem Weg in Richtung der Felder. Sie alle waren ganz aufgeregt an diesem wunderbaren Sommertag.

Royces BrГјder tauchten hinter ihm auf, klopften ihm auf die Schulter, und schon machten sich die vier auf ihren eigenen Weg in die entgegengesetzte Richtung den HГјgel hinab.



„Komm schon du verliebter Vogel!“ sagte Raymond. Der älteste Bruder war Royce wie ein Vater. „Das kann noch bis heute Abend warten!“


Seine beiden anderen BrГјder lachten.

„Sie hat dich wirklich am Haken“, fügte Lofen hinzu, der mittlere von ihnen, der kleiner und gedrungener war als die anderen.

„Es gibt keine Hoffnung für dich“, stimmte Garet mit ein. Als Jüngster von ihnen war er nur wenige Jahre älter als Royce und stand diesem am nächsten. Allerdings stand er mit ihm auch am deutlichsten im Konkurrenzkampf. „Noch nicht einmal verheiratet und schon verloren.“

Die drei lachten und wollten ihn damit aufziehen. Royce stimmte mit ein als sie sich auf den Weg zur Feldarbeit begaben. Er blickte noch einmal über seine Schulter und erhaschte einen letzten Blick auf Genoveva, die den Hügel hinablaufend verschwand. Sein Herz hüpfte als auch sie sich noch einmal nach ihm umwandte und ihm von weit weg ein Lächeln schenkte. Ihr Lächeln rührte seine Seele.

Heute Abend, meine Liebe, dachte er. Heute Abend.


*

Genoveva arbeitete auf den Feldern, hob und schwang umgeben von etwa einem dutzend Schwestern und Cousinen ihre Sense. Sie alle waren an diesem denkwürdigen Tag bester Laune, und Genoveva nur mit halbem Herzen bei der Arbeit. Sie hielt immer wieder inne, nachdem sie einige Male die Sense geschwungen hatte und stützte sich auf ihren langen Schaft während sie in den blauen Himmel blickte, die grandiosen gelben Felder betrachtete und an Royce dachte. Jedes Mal schlug ihr Herz dabei schneller. Heute war der Tag, von dem sie seit Kindertagen geträumt hatte. Es war der wichtigste Tag in ihrem Leben. Nach dem heutigen Tage würden sie und Royce für immer zusammenleben; nach dem heutigen Tage würden sie ihr eigenes kleines Häuschen beziehen, ein einfaches Ein-Raum-Häuschen am Rande der Felder, ein bescheidenes Plätzchen, das ihre Eltern ihr hinterlassen hatten. Es wäre ein Neubeginn in ihren Rollen als Mann und Frau.

Genoveva strahlte bei dem Gedanken. Nichts hatte sie jemals sehnlicher gewollt, als mit Royce zusammen zu sein. Er war immer an ihrer Seite gewesen seitdem sie ein Kind gewesen war, und sie hatte nie für einen anderen Augen gehabt. Auch wenn er der jüngste der vier Brüder war, so hatte sie stets das Gefühl gehabt, dass Royce etwas Besonderes hatte, das ihn von allen anderen, die sie getroffen hatte, unterschied. Sie wusste nicht genau, worin genau dieser Unterschied bestand, und sie vermutete, dass auch er es nicht wusste. Doch sah sie etwas in ihm, etwas, das größer war als dieses Dorf, dieser Landstrich. Es war ihr, als läge sein Schicksal andernorts.

„Und was wird aus seinen Brüdern?“ fragte eine Stimme.

Genoveva kehrte in die Gegenwart zurГјck. Sie drehte sich zu der kichernden Sheila ihrer Г¤ltesten Schwester, hinter der zwei ihrer Cousinen standen.

„Er hat immerhin drei! Die kannst du unmöglich alle haben!“ setzte sie lachend hinzu.

„Ja worauf wartest du?“ stimmte ihre Cousine zu. „Wir warten darauf, vorgestellt zu werden.“

Genoveva lachte.

„Ich habe euch bereits vorgestellt“, antwortete sie. „Viele Male.“

„Das reicht nicht!“ erwiderte Sheila während die anderen lachten.

„Sollte deine Schwester nicht seinen Bruder heiraten?“

Genoveva lächelte.

„Es gäbe nichts schöneres für mich“, antwortete sie. „Aber ich kann nicht an ihrer Stelle sprechen. Ich kenne nur Royces Herz.“

„Überzeuge sie!“ drängte eine andere ihrer Cousinen.

Genoveva lachte erneut. „Ich werde mein Bestes geben.“

„Und was wirst du tragen?“ rief ihre Cousine dazwischen. „Du hast noch immer nicht entschieden, welches Kleid du – “

Ein Geräusch, das plötzlich durch die Luft zu ihnen drang, eines bei dem Genoveva sofort unwohl zumute wurde, veranlasste sie ihre Sense sinken zu lassen und sich dem Horizont zuzuwenden. Sie wusste, noch bevor sie es ganz verstanden hatte, dass es ein unheilvolles Geräusch war, eines das Ärger bedeuten würde.

Sie drehte sich um und starrte auf den Horizont, und als sie das tat, fanden ihre größten Ängste Bestätigung. Das Geräusch von Getrappel wurde hörbar. Ein Gefolge aus Pferden tauchte auf dem Hügel auf. Ihr Herz stockte als sie die Reiter sah, die in feinste Seide gekleidet, ein grüngoldenes Banner trugen, in dessen Mitte ein Bär prangte und das Haus Nors ankündigten.

Die Adligen kamen.

Genoveva machte dieser Anblick wütend. Diese habgierigen Männer hatten ihrer Familie und allen anderen Bauernfamilien einen Zehnten nach dem anderen abgenommen. Sie hatten alles genommen, was sie kriegen konnten und lebten wie Könige. Und immer noch war es nicht genug.

Genoveva sah, wie sie heranritten, und sie betete mit ganzer Seele, dass sie einfach vorbeireiten und nicht zu ihnen kommen wГјrden. Allerdings hatte sie sie viele Sonnenzyklen nicht mehr in diesen Feldern gesehen.

Genoveva musste zu ihrem Entsetzen mitansehen, wie sie plötzlich drehten und auf sie zu ritten.

Nein, bat sie still. Nicht jetzt. Nicht hier. Nicht heute.

Doch sie ritten und ritten, kamen näher und näher ganz klar auf sie zu. Die Kunde von ihrer Hochzeit musste sich verbreitet haben, und das ermunterte sie, zuzugreifen bevor es zu spät war.

Die anderen Mädchen scharten sich instinktiv um sie. Sheila drehte sich zu ihr und umklammerte wie wild ihren Arm.

„LAUF!“ befahl sie ihr und schubste sie.

Genoveva drehte sich um und erblickte das offene kilometerweite Feld vor sich. Sie wusste, dass es irrsinnig gewesen wäre – sie würde nicht weit kommen. Sie würden sie trotzdem einfangen – jedoch ohne Würde.

„Nein“, antwortete sie ruhig und gelassen.

Sie umklammerte den Griff ihrer Sense und hielt sie vor sich.

„Ich werde ihnen entgegentreten.“

Sie sahen sie verblГјfft an.

„Mit deiner Sense?“ fragte ihre Cousine ungläubig.

„Vielleicht kommen sie ohne böse Absicht“, pflichtete eine andere Cousine ihr bei.

Doch Genoveva sah sie herannahen und langsam schГјttelte sie ihren Kopf.

„Nein, das tun sie nicht“, antwortete sie.

Sie sah, wie sie näherkamen und wartete darauf, dass sie langsamer würden – doch zu ihrer Überraschung hielten sie das Tempo. In ihrer Mitte ritt Manfor, ein höhergestellter Adliger um die zwanzig, den sie verachtete. Er war Herzog des Königreiches, ein Junge mit vollen Lippen, hellen Augen, goldenen Locken und einem höhnischen Lächeln auf den Lippen. Es war als würde er permanent auf die Welt hinabblicken.

Sie kamen noch näher und Genoveva sah das grausige Grinsen in seinem Gesicht und seinen Blick, der über ihren Körper glitt, als wäre er ein Stück Fleisch. Sie waren weniger als zwanzig Meter entfernt, da hob Genoveva ihre Sense und machte sich bereit.

„Sie werden mich nicht mitnehmen“, seufzte sie resignierend und an Royce denkend. Jetzt wünschte sie ihn sich mehr als alles andere an ihrer Seite.

„Genoveva tu das nicht“, schrie Sheila.

Genoveva rannte mit erhobener Sense auf sie zu. Adrenalin schoss durch ihre Adern. Sie wusste nicht, woher sie den Mut nahm, doch sie brachte ihn auf. Sie stГјrmte mit kampfbereiter Sense auf sie zu und lieГџ sie auf den ersten Adligen, der ihr in die Quere kam, niedergehen.

Doch sie waren zu schnell. Sie ritten wie der Donner und als sie die Sense niederschwang, da hob einer von ihnen seinen Stock, schwang diesen und schlug ihr die Sense aus der Hand. Sie spГјrte den schrecklichen Widerstand bis in ihre Hand hinein und musste mitansehen, wie ihre Waffe durch die Luft flog und in einem nahegelegenen Heuhaufen landete.

Einen Moment später galoppierte Manfor an ihr vorbei, lehnte sich nach vorne und schlug ihr mit seiner Gantelet aus Metall ins Gesicht.

Genoveva schrie und wurde von der Wucht des Schlags herumgeschleudert. Sie landete mit dem Gesicht zuerst im Heu, brennender Schmerz flammte auf.

Die Pferde blieben abrupt stehen, und Reiter stiegen von ihnen ab, um Genoveva mit groben Händen zu greifen. Sie wurde auf ihre Füße gestellt, ihr war noch immer schwindelig von dem Schlag, den sie hatte einstecken müssen.

Sie stand mit wackeligen Beinen da und sah zu Manfor auf, der vor ihr stand. Seine höhnische Grimasse tauchte unter seinem Helm auf.

„Lasst mich gehen!“ zischte sie. „Ich bin nicht Euer Eigentum!“

Sie hörte Schreie hinter sich und blickte zu ihren Schwestern und Cousinen, die ihr zu Hilfe eilen wollten, sie retten wollten – und sie sah mit Schrecken, wie die Ritter sie zu Boden schlugen.

Genoveva hörte Manfors widerliches Gelächter als er nach ihr griff, sie auf den Rücken seines Pferdes schmiss und ihre Handgelenke zusammenband. Einen Augenblick später stieg er hinter ihr auf, gab dem Pferd die Sporen und ritt von dannen. Die Mädchen kreischten hinter ihr als sie sich immer weiter entfernte. Sie versuchte, sich zu befreien, doch sie war unfähig, sich zu wehren, denn er hielt sie wie in einem Schraubstock gepackt.

„Wie falsch du liegst junges Mädchen“, antwortete er lachend. „Du gehörst mir.“




KAPITEL FГњNF


Royce stand inmitten eines Weizenfeldes, das er mit Hilfe seiner Sichel bearbeitete während sein Herz beim Gedanken an seine Braut vor Freude hüpfte. Er konnte kaum fassen, dass ihr Hochzeitstag nun wirklich gekommen war. In seiner Erinnerung hatte er Genoveva schon immer geliebt und der heutige Tag würde der denkwürdigste in seinem Leben werden. Morgen schon würde er mit ihr an seiner Seite erwachen, in einem neuen eigenen Häuschen und einem neuen Leben, das vor ihnen lag. Er konnte die Schmetterlinge in seinem Bauch spüren. Er wünschte sich nichts sehnlicher.

Während er seine Sichel schwang, dachte Royce an das nächtliche Training mit seinen Brüdern. Sie hatten sich unablässig mit Holzschwertern bekämpft, manchmal auch mit echten, doppelgewichteten, die so schwer waren, dass man sie kaum halten konnten, doch sollten sie sie stärker und schneller machen. Auch wenn er jünger als seine anderen drei Brüder war, so hatte Royce bemerkt, dass er der beste Kämpfer unter ihnen war, geschickter mit dem Schwert, schneller im Angriff und bei der Verteidigung. Es war, als wäre es aus einem anderen Eisen geschmiedet. Er war anders, das wusste er. Doch er wusste nicht wie. Und das machte ihn unruhig.

Woher hatte er sein Talent zum Kämpfen? Warum war er so anders? Das ergab alles keinen Sinn. Sie waren Brüder, in ihren Adern floss das gleiche Blut. Auch waren sie vier unzertrennlich, machten alles zusammen, ob es dabei ums Kämpfen oder die Arbeit im Feld ging. Das war auch der einzige Wehrmutstropfen dieses fröhlichen Tages: würde sein Umzug bedeuten, dass er sich von seinen Brüdern entfernen würde? Er schwor sich still, dass egal was auch geschah, er das nicht zulassen würde.

Royce Gedanken wurden durch ein Geräusch, das von Rande des Feldes kam, unterbrochen, ein für diese Tageszeit ungewöhnliches Geräusch, ein Geräusch, das er an solch einem perfekten Tag nicht hören wollte. Pferde. Ungeduldiges Getrappel.

Royce drehte sich besorgt um, gleiches taten seine Brüder. Seine Sorge wurde noch größer als er Genovevas Schwestern und Cousinen ausmachte. Sie ritten auf ihn zu und Royce konnte bereits die in ihre Gesichter geätzte Panik und Dringlichkeit erkennen.

Royce hatte MГјhe zu verstehen, was er dort sah. Wo war Genoveva? Warum kamen sie alle auf ihn zugeritten?

Sein Herz verkrampfte sich als er verstand, dass etwas Furchtbares geschehen sein musste.

Er ließ seine Sichel fallen, so wie auch seine Brüder und das Dutzend weiterer Bauern aus ihrem Dorf, und sie rannten ihnen entgegen. Die erste die er erreichte war Sheila, Genovevas Schwester. Sie stieg von ihrem Pferd ab, noch bevor es vollständig zum Stehen gekommen war und griff Royce bei seiner Schulter.

„Was ist los?“ schrie Royce. Er griff ihre Schultern und er spürte wie sie zitterte.

Sie brachte zwischen ihren Tränen kaum die Worte über die Lippen.

„Genoveva!“ schrie sie voller Entsetzen. „Sie haben sie mitgenommen!“

Royce trafen diese Worte wie der Schlag und schreckliche Szenen tauchten vor seinem inneren Auge auf.

„Wer?“ rief er, seine Brüder hatten sich neben ihn gestellt.

„Manfor!“ schrie sie. „Aus dem Hause Nors!“

Royce spürte das Herz in seiner Brust pochen, und Empören stieg in ihm auf. Seine Braut. Geholt von den Adligen, als wäre sie ihr Eigentum. Blut stieg ihm ins Gesicht.

„Wann!?“ fragte er und drückte Sheilas Arm fester als er es wollte.

„Gerade eben!“ antwortete sie. „Wir haben uns diese Pferde geholt, um es dir schnellstmöglich mitzuteilen!“

Sie anderen stiegen hinter ihr von ihren Pferden ab und übergaben Royce und seinen Brüdern die Zügel. Royce zögerte keine Sekunde. In einer schnellen Bewegung sprang er auf das Pferd, gab ihm die Sporen und stürmte durch die Felder davon.

Er hörte die Pferde seiner Brüder hinter ihm im Gleichtakt durch das Geröll und in Richtung der entfernten Festung galoppieren.

Sein Г¤ltester Bruder Raymond holte ihn ein.

„Du weißt, dass das Gesetz auf seiner Seite ist“, rief er ihm zu. „Er ist ein Adliger, und sie ist unverheiratet – zumindest in diesem Moment.“

Royce nickte.

„Wenn wir die Festung stürmen und sie zurückfordern, werden sie sich weigern“, fügte Raymond hinzu. „Unsere Forderung hat keine gesetzliche Grundlage.“

Royce biss die Zähne zusammen.

„Ich werde sie nicht darum bitten, sie mir zurückzugeben“, antwortete er. „Ich werde sie mir zurückholen.“

Lofen schГјttelte den Kopf als auch er zu ihnen nach vorne ritt.

„Du wirst es nicht einmal durch das Tor schaffen“, rief er. „Eine Berufsarmee erwartet dich dort. Ritter. Rüstungen. Waffen. Tore.“ Er schüttelte erneut den Kopf. „Und selbst wenn es dir gelänge da durchzukommen, selbst wenn du sie rettetest, werden sie dich nicht gehen lassen. Sie werden dich jagen und töten.

„Ich weiß“, rief Royce zurück.

„Mein Bruder“, rief Garet. „Ich liebe dich. Und ich liebe Genoveva. Aber das würde deinen Tod bedeuten. Den Tod für uns alle. Es gibt nichts, was du tun kannst.“

Royce konnte hören wie sehr sich seine Brüder um ihn sorgten und er wusste es zu schätzen – doch er durfte nicht auf sie hören. Sie war seine Braut und was es auch kostete, er hatte keine Wahl. Er konnte sie nicht verlassen, auch wenn es ihn das Leben kosten würde. So war er eben.

Royce trieb sein Pferd noch stärker voran, denn er wollte ihnen nicht mehr zuhören. Er galoppierte noch schneller durch die Felder gen Horizont und in Richtung der strahlenden Stadt, in der Manfors Festung stand. In Richtung seines sicheren Todes.

Genoveva, dachte Royce. Ich komme.


*

Royce ritt so schnell er konnte durch die Felder, seine Brüder neben ihm. Sie erklommen den letzten Hügelkamm und ritten nun in Richtung der sich unter ihnen ausbreitenden Stadt. In ihrer Mitte ragte eine gigantische Festung, der Sitz des Hauses Nors, der Adligen, die sein Land mit eiserner Hand regierten und die seine Familie ausgesaugt hatten, indem sie ihnen einen Zehnten nach dem anderen ihrer Erträge abverlangt hatten. Ihnen war es gelungen, die Bauern seit Generationen in Armut zu halten. Dutzende Ritter standen ihnen zur Verfügung, in vollen Rüstungen, mit echten Waffen und Pferden; sie hatten dicke Steinmauern, einen Burggraben, eine Brücke und sie ließen unter dem Vorwand von Gesetz und Ordnung die Stadt nicht aus den Augen – doch in Wahrheit ging es ihnen darum, die Kuh so gut es ging zu melken.

Sie hatten das Gesetz gemacht. Sie setzten die grausamen Gesetze durch, auf die sich die Adligen im ganzen Land geeinigt hatten, denn es waren Gesetze, die ihnen einen Nutzen brachten. Sie taten so, als würden sie das Volk im Gegenzug beschützen, doch die Bauern wussten, dass der einzige Schutz, den sie wirklich brauchten, der vor den Adligen selbst war. Dennoch war das Königreich von Sevania ein sicheres, denn es befand sich an der Nordspitze des Alufen-Kontinentes, grenzte größtenteils an Wasser und war so von andern Ländern isoliert. Ein weiter Ozean, Flüsse und Berge boten weitere natürliche Sicherheitsmauern. Das Land war schon seit Jahrhunderten nicht mehr besetzt worden.

Die einzige Gefahr und Tyrannei kam aus dem Inneren, von der noblen Aristokratie und ihrer Ausbeutung der Armen. Menschen wie Royce. Ihre Reichtümer genügten ihnen jedoch nicht – sie mussten ihnen auch noch die Frauen wegnehmen.

Dieser Gedanke hinterlieГџ rote Flecken auf Royces Wangen. Er senkte seinen Kopf, umklammerte den Griff seines Schwerts und versuchte sich auf das zu konzentrieren, was er vorhatte.

„Die Brücke ist unten!“ rief Raymond. „Das Tor ist offen!“

Royce hatte es auch bemerkt und sah es als gutes Zeichen.

„Natürlich ist es das!“ rief Lofen zurück. „Glaubt ihr wirklich, dass sie einen Angriff erwarten? Und dann auch noch von uns?“

Royce ritt schneller, dankbar, dass seine BrГјder ihm beistanden, und wissend, dass Genoveva seinen BrГјdern ebenso wichtig war wie ihm. Sie war fГјr sie wie eine Schwester und ein Affront gegen Royce war fГјr sie wie ein Affront gegen sie selbst. Er blickte nach vorne und machte auf der ZugbrГјcke ein paar Schlossritter aus, die halbherzig in die Landschaft und auf die umliegenden Felder starrten. Sie waren nicht darauf vorbereitet. Sie waren seit Jahrhunderten nicht angegriffen worden und hatten keinen Grund jetzt einen Angriff zu erwarten.

Der typische Laut war zu hören als Royce sein Schwert zog, er senkte seinen Kopf und hielt sein Schwert zum Angriff bereit in die Luft. Auch seine Brüder zogen ihre Schwerter. Royce ritt nach vorne und übernahm, gewillt als erster in die Schlacht zu ziehen, die Führung. Sein Herz schlug vor Aufregung und Angst – es war keine Angst um sich selbst, sondern um Genoveva.

„Ich werde reingehen, sie finden und herausbringen!“ rief Royce den Plan seinen Brüdern zu. „Bleibt an der Seite. Das ist mein Kampf.“

„Du wirst da nicht alleine reingehen!“ rief Garet zurück.

Royce schГјttelte entschlossen den Kopf.

„Wenn etwas schief geht, dann will ich nicht, dass ihr dafür bezahlt“, rief er zurück. „Bleibt hier draußen und lenkt diese Wächter ab. Das würde mir am meisten helfen.“

Er deutete mit seinem Schwert auf ein dutzend Ritter, die bei dem Torhäuschen neben dem Burggraben standen. Royce wusste, dass sie ihn angreifen würden sobald er über die Brücke ritt; doch wenn seine Brüder sie ablenkten, würden sie vielleicht lange genug in Schach gehalten, um hineinzugelangen und Genoveva zu finden. Er würde nur ein paar Minuten brauchen. Wenn er sie schnell genug fände, könnte er sie schnappen, davonreiten und diesen Ort hinter sich lassen. Er wollte niemanden töten, wenn es nach ihm ging; er wollte ihnen nicht einmal Schmerzen zufügen. Er wollte schlichtweg seine Braut zurück.

Royce senkte seinen Kopf und galoppierte so schnell er konnte, so schnell, dass er kaum noch atmen konnte, weil der Wind ihm ins Gesicht schlug. Er kam der Brücke näher, noch dreißig Meter, zwanzig, zehn, das Geräusch seines Pferdes und seines Herzschlages dröhnten in seinen Ohren. Sein Herz hämmerte in seiner Brust als er ritt und er wusste, wie verrückt das alles war. Er war dabei etwas zu tun, das der Bauernklasse nicht einmal im Traum einfallen würde zu tun: die Elite anzugreifen. Es war ein Krieg, den er unmöglich gewinnen konnte und es war ein sicherer Weg getötet zu werden. Doch seine Braut befand sich hinter diesen Toren und das war ihm Grund genug.

Royce war nur noch ein paar Meter von der BrГјcke entfernt, da sah er wie sich die Augen der Ritter Гјberrascht weiteten und sie nach ihren Waffen griffen. Das hatten sie ganz klar nicht erwartet.

Ihre verzögerte Reaktionsfähigkeit war genau das, was Royce jetzt brauchte. Er stürmte auf sie zu und als sie ihre Helmbarten hoben, senkte er sein Schwert und zielte auf deren Schafte, um sie zu entzweien. Er schlug von beiden Seiten auf sie ein, zerstörte die Waffen der Ritter auf beiden Seiten der Brücke, immer darauf bedacht ihnen möglichst kein Leid zuzufügen. Er wollte sie nur entwaffnen und sich nicht in ewige Kampfhandlungen verstricken.

Royce legte noch an Geschwindigkeit zu, drängte sein Pferd vorwärts und nutzte es so als Waffe, die die übrigen Wächter zur Seite stieß, sodass sie in ihrer schweren Rüstung durch die Luft flogen und über die flache Brücke in die Wasser des Burggrabens segelten. Royce wusste, dass sie eine Weile brauchen würden, dort wieder herauszukommen. Mehr Zeit würde er auch nicht brauchen.

Royce konnte hinter sich seine Brüder hören, die ihm weitere wertvolle Minuten schenken würden; auf der anderen Seite der Brücke ritten sie auf das Torhäuschen zu, schlugen Wächter nieder, entwaffneten sie, bevor sie die Chance hatten sie anzugreifen. Sie schafften es, das Torhäuschen zu isolieren und so die verdutzten Ritter, die gerade nicht mit der Wache an der Reihe waren, zu überraschen. Das war Royces Chance.

Royce senkte seinen Kopf und raste auf das offene Tor zu. Er ritt schneller als er sah, dass es sich langsam schloss. Er zog den Kopf ein und ritt im letzten Augenblick durch den offenen Torbogen kurz bevor sich das schwere Tor endgГјltig schloss.

Royce ritt mit pochendem Herz in den Innenhof. Er hielt inne und blickte sich um. Er war noch nie im Inneren der Festung gewesen, war ohne Orientierung und sah sich von allen Seiten von dicken Steinmauern, die mehrere Stockwerke hoch waren, umgeben. Bedienstete und gemeines Volk wuselte hier herum, trugen Eimer mit Wasser und anderen Waren. GlГјcklicherweise hatten die Ritter ihn hier noch nicht entdeckt. Sie hatten auch keinen Grund, ihn zu erwarten.

Royce sah prГјfend an den Mauern empor und suchte verzweifelt nach einem Anhaltspunkt seiner Braut.

Doch er fand keinen. Panik stieg in ihm auf. Was wäre, wenn sie sie woanders hingebracht hatten?

„GENOVEVA!“ rief er.

Royce suchte überall, wandte sich auf seinem wiehernden Pferd nervös nach allen Seiten um. Er hatte keine Ahnung, wo er suchen sollte und er hatte keinen Plan. Er hatte nicht einmal geglaubt, dass er es so weit schaffen würde.

Royce dachte scharf nach, er musste jetzt schnell sein. Die Adligen lebten wahrscheinlich dort oben, dachte er, fern abseits des Gestanks, der Massen, dort, wo Wind und Sonnenlicht waren. Dort wГјrden sie auch Genoveva hingebracht haben.

Dieser Gedanke machte ihn wГјtend.

Er zwang sich seine Gefühle in Schach zu halten, gab seinem Pferd die Sporen und galoppierte über den Hof vorbei an verdattert dreinblickenden und glotzenden Bediensteten, denen die Arbeit aus der Hand fiel, als er an ihnen vorbeiritt. Er machte auf der anderen Seite des Weges eine breite, gewundene Steintreppe aus und ritt darauf zu. Er sprang ab, noch bevor sein Pferd angehalten hatte und sprintete die Treppen hinauf. Er nahm eine Windung nach der anderen und flog höher und höher. Er hatte keine Ahnung, wohin sie ihn führen würde, doch hielt es für eine gute Idee, seine Suche ganz oben zu beginnen.

Auf dem obersten Treppenabsatz verlieГџ er schwer atmend die Wendeltreppe.

„Genoveva!“ schrie er und hoffte betend auf eine Antwort.

Doch es kam keine. Seine Verzweiflung wurde größer.

Er wählte einen der Korridore und rannte hindurch. Er betete, dass es der richtige sein würde. Als er an einer der Türen vorbeisauste, wurde sie plötzlich aufgestoßen und der Kopf eines Mannes kam zum Vorschein. Es war einer der Adligen, ein kleiner, fetter Mann mit einer breiten Nase und ausgedünntem Haar.

Er blickte Royce finster an und konnte von Royces Aufmachung sicherlich auf seine bäuerliche Herkunft schließen; er rümpfte die Nase als hätte sich Ungeziefer bei ihm eingeschlichen.

„Hey!“ rief er. „Was machst du in unserer – “

Royce zögerte keine Sekunde. Als der empörte Adlige auf ihn zu stürmte, schlug er ihm ins Gesicht, so dass er rücklings auf dem Boden landete.

Royce ließ seinen Blick schnell durch die geöffnete Tür schweifen und hoffte Genoveva dort zu erblicken. Doch der Raum war leer. Er lief weiter.

„GENOVEVA!“ schrie Royce.

Plötzlich hörte er von weit weg einen Schrei.

Sein Herz blieb stehen und er hielt inne und lauschte während er sich fragte, woher der Schrei gekommen war. Er wusste, dass seine Zeit begrenzt war, dass ihm schon bald eine ganze Armee auf den Fersen sein würde und so lief er mit schlagendem Herzen und ihren Namen unentwegt rufend weiter.

Wieder nahm er einen erstickten Schrei war und Royce wusste, dass sie es war. Sein Herz hämmerte nun. Sie war hier oben. Und er kam ihr näher.

Royce erreichte schließlich das Ende des Korridors. Dort hörte er hinter der letzten Tür auf der linken Seite einen Schrei. Er zögerte nicht, straffte seine Schultern und rannte die alte Eichentür ein.

Die Tür zerbarst und Royce stolperte hinein. Er befand sich in einer prächtigen Kammer, die mit zehn mal zehn Metern Größe, hohen Decken, in die Steinwände eingelassenen Fenstern, einer riesigen Feuerstelle und einem luxuriösen Himmelbett in der Mitte des Raumes alles übertraf, was Royce jemals gesehen hatte. Er spürte Erleichterung in sich aufsteigen als er sie, seine geliebte Genoveva, auf einem Berg von Pelzen sitzen sah.

Sie war zu seiner großen Erleichterung noch vollständig angezogen und versuchte sich tretend und mit den Armen rudernd aus Manfors Griff zu befreien. Royce schäumte vor Wut. Dort war er und vergriff sich an seiner Braut, indem er versuchte sie zu entkleiden. Royce war überaus froh, dass er es gerade rechtzeitig geschafft hatte.

Genoveva sträubte sich, schlug sich wacker, doch Manfor war zu stark für sie.

Ohne einen Moment abzuwarten, stГјrzte sich Royce auf ihn, gerade als der sich herumdrehen wollte. Seine Augen weiteten sich erschrocken als Royce ihn bei seinem Hemd griff und ihn mit voller Wucht wieder auf den Boden schmiss.

Manfor flog durch den Raum und landete stöhnend auf dem harten Steinboden.

„Royce!“ rief Genoveva und Erleichterung schwang in ihrer Stimme als sie sich ihm zuwandte und ihn ansah.

Royce wusste, dass er Manfor keine Verschnaufpause gönnen durfte. Als er versuchte aufzustehen, sprang Royce auf ihn und nagelte ihn auf dem Boden fest. Überwältigt von der Wut über das, was er seiner Frau angetan hatte, holte Royce mit seiner Faust aus und schlug ihm hart gegen seinen Kieferknochen.

Manfor wehrte sich jedoch, setzte sich auf und griff nach einem Dolch. Doch Royce war schneller und schlug ihm diesen aus der Hand. Immer wieder schlug er auf Manfor ein bis dieser auf den Boden sank und Royce den Dolch Гјber den Boden ins Abseits schlittern sah.

Er hielt Manfor in eisernem Griff, doch Manfor höhnte ihn mit herausfordernder Herablassung.

„Das Gesetzt ist auf meiner Seite“, zischte Manfor. „Ich kann mir jede nehmen, die ich will. Sie gehört mir.“

Royces Blick wurde finster.

„Du rührst meine Braut nicht an.“

„Du bist durchgeknallt“, konterte Manfor. „Durchgeknallt. Am Ende des Tages wirst du tot sein. Du kannst dich nirgends verstecken. Siehst du das denn nicht? Dieses Land gehört uns.“

Royce schГјttelte seinen Kopf.

„Was du nicht verstehst“, sagte er, „ist, dass es mir egal ist.“

Manfor runzelte die Stirn.

„Damit kommst du nicht davon“, sagte Manfor. „Dafür werde ich sorgen.“

Royces Griff um Manfors Handgelenk wurde fester.

„Du wirst gar nichts mehr tun. Genoveva und ich werden heute von hier fortgehen. Wenn du dich noch einmal ihr näherst, dann werde ich dich töten.“

Doch zu Royces Überraschung grinste Manfor ihn nur böse an, Blut rann ihm aus dem Mund.

„Ich werde sie niemals in Ruhe lassen“, antwortete Manfor. „Niemals. Ich werde sie den Rest ihres Lebens jagen. Und ich werde dich wie einen räudigen Hund jagen lassen mit allen Männern meines Vaters. Ich werde sie mir nehmen, und sie wird mir gehören. Und du wirst am Galgen baumeln. Also lauf und vergiss ihr Gesicht nicht – denn schon bald, wird sie mein sein.“

Royce spürte, wie blinde Wut in ihm hochkochte. Er wusste, dass es wahr war und das machte seine Worte noch grausamer. Sie konnten nirgends hin; die Adligen besaßen jeden Landstrich. Er konnte nicht gegen eine ganze Armee kämpfen. Und Manfor würde tatsächlich niemals klein begeben. Nur weil es ihm gefiel – aus keinem anderen Grund. Er hatte alles, was er wollte und trotzdem bestahl er diejenigen, die nichts hatten.

Royce blickte in die grausamen Augen des Adligen und er wusste, dass dieser Mann Genoveva eines Tages haben wГјrde. Und er wusste, dass er das nicht zulassen durfte. Er wollte davonlaufen, das wollte er wirklich. Aber er konnte es nicht. Das wГјrde Genovevas Tod bedeuten.

Royce griff mit einem Mal nach Manfor und stellte ihn auf seine FГјГџe. Er blickte ihn an und zog sein Schwert.

„Zieh!“ befahl Royce und gab ihm so die Chance ehrenhaft zu kämpfen.

Manfor starrte ihn verblГјfft an, Гјberrascht, dass er diese Chance erhielt. Dann zog er sein Schwert.

Manfor holte aus und schlug hart zu, doch Royce hob sein Schwert und wehrte den Schlag ab, Funken flogen. Royce spürte, dass er stärker war, hob sein Schwert und drängte Manfor zurück. Er drehte seinen Ellenbogen und rammte ihm den Schwertgriff ins Gesicht.

Ein Knacken war zu hören, Royce hatte Manfor die Nase gebrochen. Manfor taumelte zurück und starrte ihn an. Er hielt sich entgeistert seine Nase. Royce hätte ihn in diesem Moment töten können, doch er hab ihm eine weitere Chance.

„Gib auf“, bot ihm Royce an, „und ich werde dich am Leben lassen.“

Manfor jedoch stieГџ einen wГјtenden Schrei aus. Er hob sein Schwert und griff erneut an.

Royce wehrte ihn ab während Manfor wie wild um sich schlug. Die Schwerter klirrten, Funken flogen und es war ein ständiges vor und zurück. Manfor mochte adlig und mit all den Vorzügen dieser Abkunft aufgewachsen sein und doch übertrafen Royces Kampffähigkeiten die seinen um ein weites.

Royces Herz krampfte sich zusammen als sie kämpften, denn er vernahm in der Ferne den Klang von Hörnern und einer näherkommenden Armee. Er konnte bereits das Hufgetrappel auf dem Kopfsteinpflaster hören. Er wusste, dass ihm die Zeit davonlief und er brauchte jetzt eine schnelle Lösung.

Royce schlug mit aller Kraft auf Manfors Schwert ein und entwaffnete ihn. Es flog durch den Raum. Royce hielt seine Schwertspitze an Manfors Hals.

„Gib endlich auf“, befahl Royce.

Manfor kroch mit nach oben genommenen Armen langsam zurГјck. Doch als er einen kleinen Holztisch erreicht hatte, griff er etwas und warf es Royce in die Augen.

Royce schrie, konnte plötzlich nichts mehr sehen. Seine Augen brannten während die Welt um ihn schwarz wurde, er sich die Augen rieb und zu spät erkannte er, dass es Tinte war. Ein ehrloser Zug, ein Zug der ihm den adligen Status entzog. Doch dann dachte Royce, dass es ihn nicht überraschte.

Noch bevor er wieder klar sehen konnte, spürte Royce plötzlich einen scharfen Tritt in den Magen. Er kippte um und fiel auf den Boden, wand sich und blickte auf. Er hatte gerade wieder genug Sehkraft wiedererlangt um zu sehen, wie Manfor grinsend einen in seinem Mantel verborgenen Dolch hervorzog – und mit ihm auf Royce Rücken zielte.

„ROYCE!“ schrie Genoveva.

Als der Dolch auf ihn niederfuhr, gelang es Royce, sich zusammenzureißen, sich auf eines seiner Knie zu stützen, seinen Arm zu heben und Manfors Handgelenk zu packen. Royce stand langsam mit zitternden Armen auf und als Manfor erneut ausholte, wich er ihm plötzlich aus und drehte Manfors Arm so herum, dass er dessen Kraft gegen ihn verwenden konnte. Manfor versuchte weiterhin auf ihn einzustechen, doch nachdem Royce ausgewichen war, versenkte er den Dolch in seinem eigenen Bauch.

Manfor keuchte. Er stand da, starrte mit weit aufgerissenen Augen während ihm Blut aus dem Mund lief. Er war kurz davor zu sterben.

Royce spürte die Feierlichkeit dieses Moments. Er hatte einen Mann getötet. Das erste Mal in seinem Leben hatte er einen Menschen getötet. Und nicht irgendeinen – einen Adligen.

Manfors letzte Handlung war ein böses Grinsen, Blut floss aus seinem Mund.

„Du hast dir deine Braut zurückgewonnen“, keuchte er, „allerdings auf Kosten deines eigenen Lebens. Wir werden uns bald wiedersehen.“

Damit brach Manfor auf dem Boden zusammen und landete mit einem Rumps auf dem Boden.

Tot.

Royce wandte sich Genoveva zu, die reglos auf dem Bett saГџ. Er konnte Erleichterung und Dankbarkeit in ihrem Gesicht erkennen. Sie sprang auf, rannte durch den Raum und in seine Arme. Er hielt sie fest und es fГјhlte sich so gut an. Sein Leben hatte wieder einen Sinn.

„Oh Royce“, flüsterte sie in sein Ohr und das war alles was sie sagen musste. Er verstand.

„Komm, wir müssen gehen“, sagte Royce. „Uns bleibt nur wenig Zeit.“

Er nahm sie bei der Hand und sie stГјrmten durch die offene TГјr der Kammer in den Korridor.

Royce rannte den Gang hinunter, Genoveva neben ihm, sein Herz beschleunigte sich, als er die königlichen Hörner vernahm, die immer und immer wieder erschollen. Er wusste, was sie bedeuteten – und er wusste, dass sie seinetwegen geblasen wurden.

Das Klappern der Rüstungen kündete, dass die Festung abgeriegelt worden sein musste und dass sie umzingelt waren. Seine Brüder hatten gute Arbeit geleistet sie abzulenken, doch Royces Unternehmung hatte zu lange gebraucht. Während sie rannten, blickte er in den Hof und sein Herz stockte beim Anblick der dutzenden von Rittern, die durch das Tor strömten.

Royce wusste, dass es keinen Ausweg geben würde. Er war nicht nur in ihr Heim eingebrochen, er hatte einen von ihnen getötet, einen Adligen, ein Mitglied der königlichen Familie. Sie würden ihn nicht am Leben lassen. Heute war der Tag, an dem sich sein Leben für immer verändern würde. Was für eine Ironie, dachte er; heute Morgen war er so übervoll des Glücks erwacht, hatte sich so sehr auf diesen Tag gefreut. Jetzt, noch bevor die Sonne überhaupt untergegangen war, winkte ihm der Galgen.

Royce und Genoveva rannten immer weiter und näherten sich dem Ende des Ganges und somit auch dem Eingang zur Wendeltreppe – da tauchten wie aus dem Nichts ein halbes dutzend Ritter auf den Stufen auf und versperrte ihnen den Weg.

Royce und Genoveva hielten abrupt an, drehten sich um und rannten in die entgegengesetzte Richtung, die Ritter auf ihren Fersen. Royce konnte ihre Rüstung hören und er wusste, dass sein einziger Vorteil darin bestand, dass er keine Rüstung trug, denn so war er schnell genug, sich nicht einholen zu lassen.

Sie rannten und rannten die Korridore entlang in der Hoffnung eine Hintertreppe oder einen anderen Ausweg zu finden, als sie plötzlich um die Ecke in einen neuen Korridor bogen und sich vor einer Steinwand wiederfanden. Royce blieb das Herz stehen und sie kamen jäh zum stehen.

Eine Sackgasse.

Royce drehte sich um und zog sein Schwert während er Genoveva hinter sich schob bereit, den Rittern die Stirn zu bieten, auch wenn er wusste, dass es wahrscheinlich das Letzte sein würde, was er tat.

Mit einem Mal spürte er Genovevas Griff um seinen Arm und sie rief: „Royce!“

Er wirbelte herum und sah, was sie sah: ein groГџes, offenes Fenster neben ihnen. Er blickte nach unten und sein Magen drehte sich um. Der Fall wГјrde zu lange dauern, um zu Гјberleben.

Doch dann sah er, wie sie auf einen mit Heu gefГјllten Wagen deutete, der langsam unter ihnen vorbeituckerte.

„Wir könnten springen!“ schrie sie.

Sie nahm seine Hand und gemeinsam traten sie auf den Fenstersims. Er drehte sich um und blickte zurück. Die Ritter kamen näher und noch bevor er weiter darüber nachdenken konnte, wie verrückt es war, spürte er ein Ziehen an seiner Hand  – und plötzlich befanden sie sich in der Luft.

Genoveva war sogar tapferer als er. Das war sie schon von Kindesbeinen an gewesen, erinnerte er sich.

Sie sprangen und fielen sechs Meter durch die Luft. Royce schlug das Herz bis zum Halse und Genoveva schrie während sie versuchten, auf dem Wagen zu landen. Royce machte sich darauf gefasst zu sterben und war dankbar, dass er zumindest nicht durch die Hand eines Adligen sterben würde – und mit seiner Liebe an seiner Seite.

Doch zu Royces groГџer Erleichterung landete sie in dem Heuhaufen. Das Heu stob in einer groГџen Wolke um sie und zu seinem Erstaunen brach er sich nicht einen Knochen, wenn er auch ein paar blaue Flecken von dem Fall davontragen wГјrde. Er setzte sich sofort auf und ГјberprГјfte, ob es Genoveva ebenso gut ergangen war; sie lag wie benommen da, doch dann setzte auch sie sich auf, klopfte das Heu ab und er stellte zu seiner groГџen Erleichterung fest, dass sie unverletzt geblieben war.

Wortlos erinnerten sich beide an ihre brenzlige Lage. Royce reichte ihr seine Hand und sie sprangen vom Wagen. Royce rannte zu seinem Pferd, das noch immer im Hof auf ihn wartete, stieg auf, griff Genoveva und half ihr hinter ihm Platz zu nehmen. Mit einem Tritt galoppierten sie davon. Royce ritt auf das offene Tor des Schlosses zu, während immer mehr Ritter hineinströmten und an ihnen vorbeijagten ohne zu erkennen, wer sie eigentlich waren.

Sie näherten sich dem offenen Tor und Royces Herz hämmerte in seiner Brust; jetzt waren sie schon so nah. Sie mussten es nur noch freiräumen und sie würden nach ein paar Galoppschritten in die offene Landschaft reiten. Von dort konnten sie mit seinen Brüdern, Cousins und Männern zusammen reiten und von diesem Ort fliehen, um andernorts ein neues Leben anzufangen. Oder besser noch konnten sie ihre eigene Armee zusammenstellen und dem Adel ein für alle Mal den Garaus machen. Die Zeit schien für einen glorreichen Moment stillzustehen und Royce versank in der Vorstellung an den bevorstehenden Wandel, den Sieg, der alles was er bisher gekannt hatte, auf den Kopf stellen würde. Der Tag des Aufstands war gekommen. Der Tag an dem ihr Leben nie wieder so sein würde, wie es einmal gewesen war.

Als sich Royce dem Tor näherte, ergriff ihn das Entsetzen, denn er musste erkennen, dass das Fallgatter, das eben noch Ritter hineingelassen hatte, sich plötzlich senkte und vor ihm zuschlug. Sein Pferd bäumte sich auf und sie hielten abrupt an.

Royce drehte sich um und blickte sich im Innenhof um. Etwa fünfzig Ritter hatten sie erkannt und kamen auf sie zu. Royce bereitete sich darauf vor, auf sie zuzustürmen. Doch spürte er plötzlich wie ein Seil seinen Körper umschlang und Genoveva zu schreien begann.

Die Seile zurrten sich um seine HГјfte und Royce wurde mit einem Ruck von seinem Pferd gerissen. Er landete auf dem harten Borden und wurde auf dem RГјcken gefesselt. Er sah, wie auch Genoveva von Seilen erfasst zu Boden gezerrt wurde.




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